Beihilfe zum Suizid regeln, aber wie?

Ein Kommentar von Dr. Dietmar Merz

Spannende Zeiten im Deutschen Bundestag. Nachdem am 26. Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht den bisherigen § 217 StGB gekippt hatte, mühen sich derzeit Abgeordnete um eine Neuregelung.

Karlsruhe hatte klargestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch unter Zuhilfenahme Dritter einschließe. Der Zugang zu diesem Grundrecht dürfe nicht durch ein Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe verstellt werden.

Dieser Tage wurden im Bundestag Entwürfe für eine Neuordnung vorgelegt und debattiert.

Auch in der Gesellschaft sorgt das Thema für zahlreiche Diskussionen. Immerhin betrifft die Suizidhilfe unser Verständnis von Leben und vom menschlichen Zusammenhalt.

Als Theologe und Studienleiter habe ich grundsätzliche Anfragen:

Generalisierung: Die Klausel, dass „das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht auf fremddefinierte Situationen beschränkt werden dürfe“ (BVerfG), ist einmalig in der Welt und nur dann nachvollziehbar, wenn man das Selbstbestimmungsrecht als alleiniges und absolutes Grundprinzip versteht und anwendet. Juristisch mag das logisch sein, für ethisch vertretbar halte ich es nicht. Im Extremfall heißt das, dass auch ein junger Mensch mit Liebeskummer, gemobbt und ohne Lehrstelle, der ernsthaft, dauerhaft und wohlüberlegt die freie Willensentscheidung trifft, nicht mehr leben zu wollen, ein Anspruchsrecht auf Suizidassistenz hat.

Individualisierung: Wer sagt, dass die „Entscheidung des Einzelnen und sein Verständnis der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz als Akt autonomer Selbstbestimmung unbedingt anzuerkennen“ (BVerfG) sei, bedient sich einer Autonomie, die allein auf das Individuum zielt. Das Verständnis des Menschen als Beziehungswesen, als Teil einer Gemeinschaft spielt keine Rolle. Ein Mensch, der über sein Lebensende nachdenkt, hört für mich nicht auf, ein Mensch zu sein, der in Beziehungen steht und Teil einer Solidargemeinschaft gegenseitiger Verantwortung ist. Für An- und Zugehörige ist ein Suizid ein tiefer Einschnitt im Leben, selbst dann, wenn sie den Suizidwunsch verstehen.

Normalisierung: Ich fürchte mich vor einer Entwicklung, in der Suizidassistenz als frei wählbare Option organisiert wird. Es macht für mich einen Unterschied, einen Einzelfall als ultima ratio zu respektieren oder daraus ein öffentliches Modell zu machen. Das könnte vulnerable Bevölkerungsgruppen zunehmend unter Druck setzen. In den Niederlanden z.B. raten Experten vor einer Erweiterung der Sterbehilfe auf „vollendetes Leben“ ab, damit nicht die negative Sicht auf ältere Menschen verstärkt wird.

Idealisierung: Auch das im Urteil gezeichnete Ideal des Menschen, der im Angesicht des Todes zur freien Willenserklärung fähig sei, frage ich an. Die meisten Menschen entsprechen in einer existentiellen Notsituation nicht diesem Bild. Alle, die hospizlich arbeiten, sagen, dass Sterbewünsche ambivalent und widersprüchlich sind und sich ändern. Selbsttötungsabsichten zeigen immer ein Drama menschlicher Existenz. Für mich bräuchte es dringend eine bessere Versorgung für Menschen in Not und einen flächendeckenden Ausbau psychiatrischer Notfall- und Krisendienste.

Für mich wäre eine gesetzliche Neuregelung anzustreben, die stark vom Lebensschutz geleitet ist, gesellschaftlich die richtigen Signale setzt und zwischen einer gefährlichen Entgrenzung und einer unzulässigen Begrenzung das richtige Maß findet.

Was ist Ihnen in Bezug auf das Thema und mit Blick auf ein neues Gesetz wichtig? Schreiben Sie uns.

Der Theologe Dr. Dietmar Merz ist seit 2014 Studienleiter für den Themenbereich „Kultur, Bildung, Religion“ an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Medizinethik und Gesundheitspolitik.

Seitdem das Gesetz zur assistierten Selbsttötung im Februar 2020 vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, beschäftigt sich Dr. Dietmar Merz in regelmäßigen Beiträgen intensiv mit der Thematik:

Weitere wichtige Veröffentlichungen/Stimmen zum Thema:

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