„119 Länder sitzen in der Schuldenfalle“

Schuldenreport 2018 ruft Bundesregierung dazu auf, Flächenbrand rasch mit wenigen Schuldenreduzierungen einzudämmen

Der politische Koordinator von erlassjahr.de Jürgen Kaiser, die ehemalige Leiterin der argentinischen Zentralbank, Dr. Mercedes Marcó del Pont und Prof. Dr. Joachim Becker von der Wirtschaftsuniversität Wien (v. l., © Martina Waiblinger).

Bad Boll. „Aktuell sind 119 Länder im Globalen Süden kritisch verschuldet. Der Verschuldungstrend hält an: In 87 dieser Länder hat sich die Situation in den letzten vier Jahren verschlechtert. 13 Länder sind zahlungsunfähig: Die Schuldenkrise ist da!“ Das sagt einer der Autoren des Schuldenreports 2018, Jürgen Kaiser. Der Politische Koordinator von erlassjahr.de war einer der Referenten bei der Tagung „Finanzregeln für das Management einer Verschuldungskrise“ am vergangenen Wochenende (04./05.05.2018) in der Evangelischen Akademie Bad Boll.

„Die Krise wird, falls nicht politisch gegengesteuert wird, bestehen bleiben und sich auch durch Initiativen zur Förderung von Privatkapitalinvestitionen noch weiter verstärken“, betonte Kaiser. Nach allen Erfahrungen mit der letzten Krise führten hohe Schuldenstände an einem bestimmten Punkt zu einer bedrohlichen Realität: Der laufende Schuldendienst absorbiere einen so hohen Anteil der Wirtschaftsleistung, dass er nur noch um den Preis weiterer Verschuldung aufrecht erhalten werden kann. Kaiser: „Länder sitzen buchstäblich in der Schuldenfalle.“

"Schmerzhafte Einschnitte in der sozialen Versorgung"

Überschuldung ist laut Kaiser nicht erst dann ein Problem, wenn es zu einer Zahlungseinstellung kommt. Die Erfahrung zeige, dass Regierungen oft den Schuldendienst aufrechterhielten, obwohl das Geld dringend im Land gebraucht würde. „Für die Menschen in den betroffenen Ländern bedeutet das oft schmerzhafte Einschnitte in der sozialen Versorgung“, sagte Kaiser. Die medizinische Versorgung verschlechtere sich, nur noch einige Reiche könnten sich eine gute Ausbildung leisten. Vor allem die Ärmsten in der Bevölkerung litten unter diesen Sparmaßnahmen. Dabei habe die sogenannte „Schuldenkrise der Dritten Welt“ in den achtziger und neunziger Jahren gelehrt, dass es am Ende für alle Beteiligten preisgünstiger ist, zeitig Schulden zu reduzieren, weil die Finanzierung des Schuldendienstes mit neuen (multilateralen) Krediten dem sprichwörtlichen Feuerlöschen mittels Benzin gleichkomme. Kaiser hob hervor: „2018 ist vielleicht das letzte Jahr, in dem es noch möglich ist, einen Flächenbrand mit wenigen gezielten und noch nicht allzu kostspieligen Schuldenreduzierungen einzudämmen.“

Mercedes Marcó del Pont: Regeln des Finanzkapitals bringen keine Vorteile

Die ehemalige Leiterin der argentinischen Zentralbank, Dr. Mercedes Marcó del Pont, berichtete auf der Tagung über Argentiniens Umgang mit der Schuldenkrise: „Bei einer Umstrukturierung in so großem Rahmen entsteht der Hauptkonflikt zwischen denjenigen, die sich nach der Logik des Finanzkapitals richten, weil sie davon ausgehen, dass die absolut freie Kapitalbewegung eine wünschenswerte Bedingung für Entwicklungsökonomie ist, und denjenigen, die davon ausgehen, dass diese ‚Form der Integration‘ nur Probleme in sich birgt.“ Selbst bei lobenswerten Regierungen, wie die von Lula da Silva oder Dilma Roussefs habe sich letztlich gezeigt, dass es keine Vorteile bringt, die Regeln des Finanzkapitals zu akzeptieren. Auch bestätigten selbst orthodoxe akademische Forschungen, dass die freie Kapitalbewegung – eine nötige Voraussetzung für die Verschuldungsprozesse in Entwicklungsländern – einerseits die Anfälligkeit der Wirtschaft erhöht und andererseits den Aufbau einer Wirtschaftspolitik verhindert, die die Sachkapitalinvestitionen, den technologischen Wandel und die soziale Inklusion begünstigen würde.

Für die Integration von Entwicklungsländern in die Weltwirtschaft würden sich aufgrund der argentinischen Erfahrungen folgende Lehren ergeben: „Eine unkritische Integration in einer globalisierten und finanzgetriebenen Welt ist absolut unvereinbar mit einem nationalen Entwicklungsprogramm“, sagte Marcó del Pont. Die geringen Autonomiespielräume, die die integrierte Welt heute biete, würden durch die Finanzlogik versperrt. Diese Logik setze dazu eine unendliche Liste von Forderungen voraus, die die Unterentwicklung untermauere und in den peripheren Ökonomien Ungewissheit und Fragilität verstärkten.

Argentinien versuche heute eine neue Version dieser „naiven“ Integration. Mit der Amtsaufnahme der neuen Regierung Mauricio Macris Ende 2015 habe das Land wieder die finanzgetriebene Logik aufgenommen. Die ersten Ergebnisse seien bereits sichtbar. Der versprochene „Investitionsregen“ (so ein Slogan im Wahlkampf) kam nur in der Form von Finanzanlagen, die die Kombination von festem Wechselkurs, außergewöhnlich hohen Zinsen und freier Kapitalbewegung ausnutzten, um dann Kapitalflucht zu begehen. Marcó del Pont: „Als ‚Gegenleistung‘ ist bisher nur eine Neuverschuldung im Wert von 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geblieben.“

Kostenloser Download und kostenpflichtige Print-Version des Schuldrenreports 2018:

119 sogenannte Entwicklungs- und Schwellenländer sind kritisch verschuldet, in 87 von ihnen hat sich die Verschuldungssituation weiter verschlechtert, 13 Länder mussten ihre Schuldenrückzahlungen aktuell ganz oder teilweise einstellen: Das zeigt der Schuldenreport 2018 (kostenloser Download) von erlassjahr.de und Misereor, der im März veröffentlicht wurde.

  • Print-Version des Schuldenreports zum Bestellen über erlassjahr.de (für 3,50 €).

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