Auf keinen Fall darf es jetzt einen Kurswechsel oder gar einen Blindflug mit neuen Instrumenten geben, warnt Christian Brinkmann vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung. Was mit den Hartz-Reformen in Gang gesetzt wurde, kann seiner Meinung nach noch nicht abschließend bewertet werden. Vorsichtig nachsteuern und die Zielgenauigkeit der Maßnahmen schärfen - dieser Appell zur Besonnenheit war am Montag und Dienstag (17./18.10.05) aus vielen Beiträgen einer Tagung in Bad Boll herauszuhören, auf der rund 100 Fachleute aus Wirtschaftsforschungs-Instituten, Jobcentern, Verbänden und Kommunen die Arbeitsmarkt-Reformen bilanzierten.
Vorsichtig fasste Christian Brinkmann zusammen, wo sich seiner Ansicht nach ein Handlungsbedarf abzeichnet. Skeptisch beurteilt er zum Beispiel die Wirksamkeit von Maßnahmen, mit denen eine Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt "um jeden Preis" gelingen soll. Vor allem die Vorstellung, dies mit einem einzigen Instrument bewerkstelligen zu können, ist für ihn fraglich. Mehr verspricht er sich von der Entwicklung eines Stufenangebots von Lohnsubventionen, mit dem differenzierte Angebote gemacht werden können, um die Integrationsfähigkeit zu erreichen. Auch bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen setzt er auf "Kombinationsinstrumente". Die Entwicklung in Deutschland gehe in diese Richtung, aber ein gezielterer Einsatz der Mittel sei notwendig.
Drastischer äußerten sich die Vertreter aus Politik und Gewerkschaft auf der Tagung. Die hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger (CDU) bekannte sich zwar zur Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe und dem Prinzip des "Förderns und Forderns". Ganz klar setzt sie sich aber für eine Korrektur bei der Betreuung der Empfänger von Arbeitslosengeld II ein. Seit Jahresbeginn sind dafür Arbeitsgemeinschaften zuständig, in denen Kommunen und die örtlichen Agenturen der Bundesanstalt für Arbeit tätig werden. Hier forderte Lautenschläger deutlich mehr Entscheidungsspielraum für die Kommunen bis hin zu einer eigenständigen Verantwortung beim Einsatz der arbeitsmarktpolitischen Instrumente.
Auch bei den Langzeitarbeitslosen sieht sie die Kompetenz bei den Kommunen und möchte den Einfluss der Bundesagentur schmälern. "Was für die Vermittlung eines Langzeitarbeitslosen wichtig ist, muss vor Ort und nicht in Nürnberg entschieden werden". Wenig hält die Sozialministerin auch von Ein-Euro-Jobs. Damit sei keine Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt zu leisten, sagte sie in Bad Boll. Stattdessen will sie durch Einführung von Kombilöhnen im Niedriglohnsektor neue Anreize schaffen. Vor allem im "haushaltsnahen Bereich" sieht sie dabei ein erhebliches Beschäftigungspotential.
Als "ineffizient, unwirksam und viel zu teuer" bilanzierte Werner Bruns aus dem baden-württembergischen Wirtschaftsministerium die Maßnahmen aus Hartz I bis III, also die Regelungen zu Zeitarbeit, Mini-Jobs, Ich-AGs und zur Umorganisation der Arbeitsämter in Jobcenter. Die Bundesanstalt für Arbeit würde er am liebsten ganz auflösen und damit die Arbeitsmarktpolitik der Sozialpolitik zuschlagen. Dabei würde auch er den Kommunen mehr Autonomie einräumen. Lediglich die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe bewertete er positiv, da sie seiner Meinung nach den Weg für eine Zusammenführung der sozialen Leistungen zu einem Bürgergeld ebnet. Das wirksamste Mittel gegen die Arbeitslosigkeit ist für Bruns die "Beseitigung von Standortdefiziten". Damit meint er "Deregulierung, Flexibilisierung und eine Steuerpolitik, bei der sich Investitionen wieder lohnen."
Genau dies hat nach Ansicht von Dierk Hirschel, Mitglied im DGB-Bundesvorstand, nichts gebracht. Die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Flexibilisierung der Tarifverträge und stagnierende Reallöhne hätten keineswegs zu mehr Beschäftigung geführt. Hirschel wandte sich in Bad Boll entschieden gegen die "holzschnittartige Wahrnehmung, dass ein hoher Grad der Arbeitsmarktregulierung mit einem niedrigen Niveau der Beschäftigung" zu tun habe. Er habe keineswegs Einwände gegen eine Erhöhung von Lohnersatzleistungen, wohl aber gegen "Niedriglohnstrategien wie Kombilöhne". Für beschäftigungswirksam hält er, was den privaten Konsum ankurbelt, von dem immerhin 80 Prozent der Binnennachfrage abhängig seien. Ein "nachhaltiges Wachstum" ist für ihn das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit. Dieses Wachstum lässt sich seiner Meinung nach am effektivsten durch öffentliche Investitionen steuern. Dabei denke er an Investitionen in ökologische Innovationen, aber auch Ausgaben für Forschung und Bildung. Allein was den letzten Punkt betrifft, wollte ihm niemand auf dem Bad Boller Podium widersprechen. (Uwe Walter)