Trotz Dauerstau, Emissionen, Lärm und Flächenfraß ist das Auto nach wie vor das entscheidende Verkehrsmittel. Unsere Mobilitätskultur ist gekennzeichnet durch die Abhängigkeiten von fossiler Mobilität. Auf der Tagung "Zukunftsfähige Mobilitätskultur - wie kann sie gelingen?" diskutierten am Freitag und Samstag, 15./16.01.2016, in der Evangelischen Akademie Bad Boll Vertreter aus Kommunen, Raumplanung, Umwelt- und Verkehrsverbänden sowie Interessierte über Alternativen und Veränderungsprozesse hin zu einer ressourcenleichten und emissionsarmen Mobilität.
In seinem Vortrag "Wie viel Mobilität ist genug?" ging Dr. Michael Kopatz, Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, auf die Suffizienz im Mobilitätsalltag und als verkehrspolitische Strategie ein. "Die extreme Verschwendung von Öl ist selbstverständlicher Teil unserer Mobilitätskultur", sagte Kopatz. Es sei erstaunlich, mit welcher Dynamik Deutschland das amerikanische Vorbild nachahme. Die Neuzulassungen von Kleinwagen verringerten sich zwischen 2009 und 2014 um fast 20 Prozent, während die Zahl der SUVs und Geländewagen um 122 Prozent zunahm. Kopatz: "Die Kommunen haben im Prinzip keine Möglichkeiten, sich diesem Trend entgegenzustemmen. Hier sind Bund und EU gefragt. Gleichwohl gibt es für Städte und Gemeinde zahlreiche Konzepte um eine Verkehrswende einzuleiten."
Wie muss eine Politik für Verkehrssuffizienz aussehen? Sie sorgt für kurze Wege zu Einkaufsmöglichkeiten für den alltäglichen Bedarf, für eine exzellente Anbindung zum kostengünstigen Nahverkehr, verlängerte Wege zum Auto, schrittweise reduzierte Stellplätze und den Einsatz von besonders sparsamen, leichteren Personenwagen, erläuterte Kopatz. Tempo 30 sollte die Regelgeschwindigkeiten in Städten und Gemeinden sein. Das halbiere den empfundenen Verkehrslärm, verringert Unfälle und befördere den Radverkehr. Das Maß aller Dinge sei eine Begrenzung der Straßenverkehrsflächen auf das gegenwärtige Niveau. Kopatz ist überzeugt: "Bei entsprechenden Rahmenbedingungen kann es gelingen, dass die Bürgerinnen und Bürger durch moderat suffizientes Verhalten den Primärenergieverbrauch und die entsprechenden Treibhausgasemissionen mehr als halbieren."
Der Psychologe Prof. Dr. Sebastian Bamberg von der Fachhochschule Bielefeld ging der Frage nach, ob und wie das Mobilitätsverhalten verändert werden kann. Dabei fasste er zentrale Forschungsergebnisse zu den psychosozialen Determinanten individueller Mobilitätsentscheidungen zusammen. Insgesamt lieferten diese Befunde ein klares Bild, an welchen Stellen erfolgreiche Maßnahmen zur Reduktion der individuellen PKW-Nutzung ansetzen sollten.
Weiter präsentiert Herr Bamberg Befunde aus schon vorliegenden Interventions-/Evaluationsstudien, die das Potenzial psychologiebasierter Maßnahmenpakete unterstreichen, Menschen zur freiwilligen Reduktion ihrer Pkw Nutzung motivieren zu können. Aus Sicht von Bamberg gibt es aber momentan kaum den politischen Willen, die großflächige Umsetzung solcher Maßnahmenpakete anzugehen.
Prof. Dr.-Ing. Dirk Heinrichs vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) untersuchte den Beitrag von Stadtstruktur und Raumplanung für eine zukunftsfähige Mobilitätkultur: "Unser Mobilitätsverhalten ist nicht allein Ausdruck individueller Bedürfnisse, Präferenzen und Lebensstile. Es wird auch beeinflusst durch Raum- und Infrastrukturen", sagte Heinrichs. Räumliche Erreichbarkeit und Verteilung von Flächennutzungen, deren Mischung und Dichte, aber auch die konkrete Gestaltung öffentlicher Räume haben einen Einfluss auf unsere Mobilitätsentscheidungen: die tägliche Wahl von Verkehrsmitteln, den Besitz von Mobilitätsressourcen wie beispielsweise den Pkw oder gar die Wahl des Wohnstandorts.
Die Raumplanung verfüge über ein vielfältiges Instrumentarium, mit dem sie eine gelingende zukunftsfähige Mobilitätskultur auf all diesen Ebenen gestalten kann. "Forschung und kommunale Praxis zeigen: ein Wandel der Mobilitätskultur ist dann möglich, wenn Mobilität und Raum zusammen gedacht und als integrierte langfristige Entwicklungsstrategie kontinuierlich umgesetzt werden", sagte Heinrichs. Dabei setzt gute Praxis am Nutzer an, konkret an den Motiven und Gründen für individuelle Mobilitätsentscheidungen. Denn Veränderung des Mobilitätsverhaltens durch Planung gelingt dann, wenn Maßnahmen aus Sicht des Menschen konkrete Verbesserungen bringen.