Akademie und Blumhardt – Vereint im „Spirit“

Wer unter den kirchlich oder theologisch Interessierten den Namen „Bad Boll“ hört, dem fallen fast automatisch zwei weitere Stichworte ein: nämlich „Blumhardt“ und „Akademie“. Beide Stichworte trennt zwar der garstige Graben der Geschichte: Der Politiker, Prediger und Pazifist Christoph Blumhardt, geboren 1842, verstarb 1919, und die Akademie wurde erst 1945 als Ort der Demokratieförderung ins Leben gerufen. Und doch verbindet Akademie und Blumhardt der gleiche „Spirit“, und es ist nicht zufällig so, dass für die erste Gründung einer evangelischen Akademie auf europäischem Boden der Ort Bad Boll gewählt wurde. An den Geist, die Geschichte und Prägung dieses Ortes insbesondere durch Christoph Blumhardt und seinen Vater sollte bewusst angeknüpft werden!

Der Kurhausbesitzer Christoph Blumhardt baute Ende des 19. Jahrhunderts im Wilhelminischen Kaiserreich das Seelsorgezentrum, das sein Vater Johann Christoph Blumhardt aufgebaut hatte, geistig um: Nicht die Heilung des einzelnen Menschen sollte mehr im Vordergrund stehen, sondern die Heilung der Gesellschaft. Militarismus, Nationalismus sowie die auf Wachstum bedachte Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert hatten enorme Folgen: Die Arbeiterinnen und Arbeiter mussten ihren Rücken für den Gewinn der Reichen hinhalten. Kinder litten unter den einfachen, lebensverkürzenden Beschäftigungen in den Schwefelfabriken. Soldaten starben millionenfach ihren „Helden“-Tod im ersten Weltkrieg. Frauen und Männern in den Kolonien wurden auf Kosten der Kolonialherren ausgebeutet oder sogar ermordet. Christoph Blumhardt sah als Christ und Theologe diese gesellschaftlichen Nöte seiner Zeit. „Vorwärts, ihr faulen Christen! Hinein in die Welt, nicht heraus, ‚Hinein‘ – das ist Christus!“: das war seine Losung. Es könnte auch die Losung einer Evangelischen Akademie sein: Hinein in die Welt, in die Gesellschaft mit ihren Fragen und Herausforderungen – dort muss sich das bewähren, was Christus gelebt hat.

Christoph Blumhardt wurde 1899 als Theologe und Pfarrer Mitglied der Sozialdemokraten – einer der ersten in Europa. Mit diesem mutigen Schritt verlor er seinen Pfarrertitel und war innerhalb von wenigen Tagen Skandalfigur Nummer eins weit über Württemberg hinaus. Denn Christentum und Sozialismus verhielten sich damals wie Feuer und Wasser: Mit solchen Menschen gibt sich doch kein „vernünftiger“ Christ ab. Die Unerschrockenheit und der Mut, mit dem Christoph Blumhardt diesen Schritt tat, sind bis heute bewundernswert. Vergleichbar damit ist der Mut, mit dem Dietrich Bonhoeffer in der Zeit der Nazi-Diktatur Teil der Widerstandsbewegung wurde. Eine Evangelische Akademie orientiert sich an solchen mutigen Menschen, und sie ist auch der Ort, an dem Themen der Zeit unerschrocken und mutig diskutiert werden.

Dabei wird eine Evangelische Akademie keinen Menschen verdammen, keinen Menschen ausschließen, keine Meinung verachten und auf diesem Weg Menschen mit ihren Interessen ins Gespräch bringen. „Im Dialog – Gesellschaft gestalten“ – das ist das Motto der Evangelischen Akademie Bad Boll. Mit der gleichen Konsequenz hatte auch Christoph Blumhardt immer wieder betont: „Fluche nie, verdamme nie! Es mag kommen, was wolle, schließe nie mit einem Menschen ab, sage nie: Du bist verloren, nie, nie, nie! Du verlierst den Heiland, sobald du das sagst!“ In diesem „Spirit“ dient auch heute noch eine Evangelische Akademie der Gesellschaft: Sie sucht konsequent den Dialog mit Andersdenkenden und setzt darauf, dass sich alle Menschen bewegen und verändern können.

In diesem Sinne sind Christen „Protestleute gegen den Tod“ (Christoph Blumhardt) – und zwar hier, auf dieser Erde. Das Reich Gottes ist kein religiöser Gedanke, sondern es „gibt der Erde erst den rechten Glanz und die rechte Fruchtbarkeit, dass die Menschen Menschen werden können“. Christoph Blumhardt hat konsequent eine „Theologie der Erde“ gelebt. „Kurz – wie und die Erde sind in einem Missverhältnis“, bekannte er 1903 und wehrte sich als Politiker gegen die Übernutzung der Ressourcen. Die Evangelische Akademie Bad Boll, eingebettet in einer wunderbaren natürlichen Umgebung, hat sich eine nachhaltige Lebensweise in der gleichen Weise auf die Fahnen geschrieben. Die Förderung einer mit den Ressourcen der Erde verträglichen Lebensweise ist eines ihrer Markenzeichen. Christoph Blumhardt und die Evangelische Akademie Bad Boll leben von dem gleichen „Spirit“, nämlich von einer „Theologie der Erde“.

In allem war Christoph Blumhardt geradezu prophetisch und seiner Zeit weit voraus. Die Evangelische Akademie ist es hoffentlich ab und zu auch: Sie will mit dem visionären Denken, Reden und Handeln der Menschen, die sich in ihr zu Tagungen und Projekten versammeln, ein christlicher „Think Tank“ der Württembergischen Landeskirche und des Landes sein. Ohne einen „Spirit“, der sie antreibt und der sich in konkreten Menschen wie Christoph Blumhardt bündelt, ist dies nicht möglich. Und so machen wir unsere Tagungsgäste mit dem besonderen „Spirit“ des Ortes immer wieder bekannt und lassen damit die Akademie zu einem ganz besonderen Ort des Dialogs werden.  

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