„Ethische Aspekte sind in deutschen Tierschutz-Gesetzen unterbelichtet“

Interview mit Studienleiterin Kathinka Kaden zur 20. Tierschutz-Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll

Studienleiterin Kathinka Kaden

Zum 20. Mal treffen sich vom 9. bis 11. März rund 100 Tierärzte, Juristinnen, Landwirte, Tierpflegerinnen und andere Interessierte zur Bad Boller Tierschutztagung. Seit 1988 gehört die Veranstaltung im Jahres- oder Zweijahresrhythmus zum Programm der Akademie. Studienleiterin Kathinka Kaden leitet die Tierschutz-Tagungen seit 2006. Im Interview erklärt sie, welche Themen damals und heute aktuell sind und warum die Kirche Nachholbedarf beim Thema Tierschutz hat.

Frau Kaden, 20 Tagungen zum Tierschutz in der Evangelischen Akademie Bad Boll - warum hält sich dieses Thema solange auf der Agenda?
Weil Ethik in den Gesetzen zum Tierschutz in Deutschland nach wie vor unterbelichtet ist. Ein Beispiel: Tiere werden in Gesetzestexten zwar nicht mehr als Sachen bezeichnet, aber noch genauso behandelt. Oder Tierversuche, die waren und sind nach wie vor ein aktuelles Problem. In den 90ern ist die Zahl der pro Jahr in Versuchen getöteten – in der Amtssprache sagt man verbrauchten -  Tiere um 500.000 auf 1,5  Millionen gesunken. Heute sind es wieder 2,7 Millionen pro Jahr. Zwar sind solche Experimente nicht zulässig, wenn es um Waffen, Tabak, Waschmittel oder Kosmetika geht. Aber Experten mahnen seit Jahren Kriterien an, wann Forschung von so herausragender Bedeutung ist, dass sie das Leid und den Tod von Tieren rechtfertigt. Im Tierschutz spielen eben an vielen Stellen mächtige Lobbys eine Rolle, etwa die Pharmaindustrie, Chemiekonzerne oder die Lebensmittelbranche.
Es hat sich seit Ende der 80er Jahre nichts verbessert?
Doch. Wir bewegen uns zu mehr Achtung vor dem Tier, wenn auch in ganz kleinen Schritten. Das deutsche Tierschutzgesetz hat sich seit seiner Verabschiedung 1972 sehr gut entwickelt, das sagen auch Tierschützer. Seit 2002 ist der Tierschutz sogar im Grundgesetz verankert. Leider hapert es noch beim Vollzug, da müssten Polizei, und Amtstierärzte oft härter durchgreifen. Die gesellschaftliche Stimmung hat sich ebenfalls gewandelt. Als meine Vorgänger Martin Pfeiffer und Dr. Jürgen Mohr die Tagung ins Leben gerufen habe, war in Westdeutschland durch das Reaktorunglück von Tschernobyl und den politischen Bewegungen der 80er Jahre das Umweltbewusstsein stark gewachsen. Der Fokus der Gesellschaft richtete sich stärker als zuvor auf Umwelt- und Naturschutz. Nach der Wende ließ das nach, doch mittlerweile sind wir wieder in die richtige Richtung unterwegs, dass zeigen der Atomausstieg oder der Trend zu mehr Bioprodukten. Das Bewusstsein für die Umwelt und unsere Konsumgewohnheiten wächst.
Mit der ehemaligen Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter referiert in diesem Jahr eine renommierte Vertreterin der evangelischen Kirche über Theologie und Tierschutz. Wie ist das Verhältnis der evangelischen Kirche zum Tier?
Es gibt enge Verbindungen zwischen Christen und dem Tierschutz. Der erste Tierschutzverein Deutschlands wurde vor 175 Jahren einem Pfarrer gegründet, und zwar von Albert Knapp in Stuttgart. Im Alten Testament gibt es eindeutige Aussagen zu Umgang mit und Pflege des Mitgeschöpfs Tier. Luther hat viel Wichtiges zum würdigen Umgang mit dem Tier gesagt, er hatte selbst einen Hund namens Tölpel. Allerdings war der kirchliche Blick auf das Tier lange anders geprägt: Die Natur war etwas, das es zu überwinden galt.  Man war sehr stark vom Wetter abhängig und fühlte sich Naturkatastrophen ausgeliefert. Wir leben erst seit maximal 100 Jahren in relativer Sicherheit vor der Natur. Doch statt ein Gleichgewicht anzustreben, beuten wir die Natur heute total aus.
Diese Ausbeutung lehnen die Kirchen ab…
Ja, hier hat sich in der Theologie sowohl durch die Umwelt- und Naturschutzbewegung als auch durch die Klimadebatten viel getan. Gedanken wie die „Bewahrung der Schöpfung“ und die Idee, dass auf dieser Erde alles voneinander abhängt, sind heute in den Kirchen fest verankert. Doch unser Blick ist weiter zu sehr auf den Menschen fixiert. Können wir aus der Bibel wirklich einen kategorischen Unterschied zwischen Mensch und Tier ableiten? In der Schöpfungsgeschichte braucht Gott zwei Tage, um alle Tiere zu schaffen, Freitag und Samstag. An einem Tag, ebenfalls dem Samstag, schafft er die Menschen. Leitet sich aus dieser Reihenfolge ab, dass die Schöpfung auf den Menschen ausgerichtet ist, dass er die Krone der Schöpfung bildet? Es ist doch eher so, dass der Sabbat Ziel und Höhepunkt der Schöpfung war: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ Oder die Bibelstellen, denen es heißt, der Mensche solle über die Tiere „herrschen“, sich die Schöpfung „Untertan machen“: Im hebräischen Original haben diese Begriffe auch die Bedeutung von Verantwortung übernehmen, von hegen und pflegen. Ich würde mir darüber eine stärkere theologische Diskussion wünschen, stelle aber eine Vergessenheit der protestantischen Theologie an diesem Punkt fest. Warum etwa werden Pfarrer, die christliche Tierbestattungen durchführen wollen, von ihren Kirchenleitungen zurückgepfiffen? Wir sollten dich die Menschen und ihre Bedürfnisse in diesem Punkt sehr ernst nehmen.
Sie sprechen das enge Verhältnis an, das viele Menschen zu ihrem Haustier haben. Ist es nicht schizophren, dass eine Gesellschaft einerseits über Geburtstagsgeschenke für den Hund nachdenkt und gleichzeitig Massentierhaltung mit all ihren Problemen toleriert?
Wenn man die Menschen fragen würde, würde eine Mehrheit solche Umstände in der Landwirtschaft ablehnen. Anderseits sehen wir tatsächlich eine Ökonomisierung des Lebensmittelsektors und damit der Landwirtschaft. Dass viele Menschen ihr Haustier vermenschlichen, deutet vor allem auf einen sozialen Notstand hin. Jedes Volk entwickelt da seine ganz eigene Ethik – vergleichen Sie mal, was in China oder Frankreich gegessen wird und was bei uns.
Die Deutschen haben sich ohnehin nach 1945 lange schwer getan mit dem Tierschutz. Das erste Tierschutzgesetz war das Reichstierschutzgesetz der Nationalsozialisten. Man hat bestimmte Rassen als „arisch“ deklariert, zum Beispiel den Schäferhund. Die Nazi-Ideologie hat die Begriffe Mensch und Tier völlig verquer vermischt, Himmler etwa sprach über russische Kriegsgefangene als „Menschentiere“.
Auf den Tierschutz-Tagungen treffen sich vor allem Menschen, die in ihrem Beruf mit Tieren zu tun haben. Warum konzentrieren Sie sich bei der Planung auf diese Zielgruppen?
Amtstierärzte und Veterinäre kommen sehr oft in Gewissenskonflikte. Wie wollen Sie die Würde des Tieres schützen, wenn Sie im Schlachthof entscheiden müssen, welches Tier wegen seines körperlichen Zustandes für welchen Kunden geeignet ist? Wer sich da gegen das System wehrt, riskiert seinen Job. Oder auf dem Land: Wer in einem Dorf den Bauern wegen Problemen bei der Tierhaltung anzeigt, verliert sein soziales Netzwerk. Die ethischen Probleme im Tierschutz werden für diese Menschen im Alltag ganz konkret. Die Evangelische Akademie veranstaltet bewusst viele ihrer Tagungen mit Berufsgruppen. Wir wollen Brücke schlagen zwischen der christlichen Ethik und dem Alltag der Menschen.
Programm der Tagung

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