Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens

Interviews mit Renke Brahms, dem Friedensbeauftragten der EKD und Antje Heider-Rottwilm

Bad Boll, 26.2.2020. Vom 3. – 5. Februar fand in der Ev. Akademie Bad Boll eine Tagung im Anschluss an die Kundgebung der EKD „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“ statt, die im November 2019 durch die EKD-Synode in Dresden nach einem zweijährigen Konsultationsprozess verabschiedet worden war. Die Tagung, an der Synodale, Friedensbeauftrage der verschiedenen Landeskirchen und andere Akteure, die sich für den Frieden engagieren, teilnahmen, reflektierte die „Kundgebung“ in ihrer praktischen Umsetzung. Die Kundgebung der Synode der EKD 2019 beinhaltet fünf Schwerpunktthemen: 1. Der Weg der Gewaltfreiheit - 2. Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz für gerechten Frieden - 3. Gesellschaftlicher Frieden - 4. Die europäische Verantwortung für den Frieden - 5. Herausforderungen durch Autonomisierung, Cyberraum und Atomwaffen. Die Kundgebung ist eine wichtige Antwort auf die Komplexität des Friedens von Seiten der EKD und ein wichtiger Beitrag für eine Friedenslogik. Die beteiligten Akteure haben die Chance, gemeinsam Schritte für die positive Transformation von Strukturen der Ungerechtigkeit zu gestalten. Hierbei dient die Kundgebung als Inspiration. Es liegt nun an uns allen sie mit guten Beispielen und Ressourcen zu stärken. Die Tagung leitete Mauricio Salazar. Das Interview führte Martina Waiblinger, Redakteurin von SYM.

Fragen an Renke Brahms, Friedensbeauftragter der EKD

Martina Waiblinger: Sie haben auf der Tagung die „Kundgebung“ der EKD von 2019 vorgestellt. Welche Bedeutung hat dieser Begriff?
Renke Brahms: „Kundgebung“ ist das höchste Papier oder der höchste Beschluss, den eine Synode beschließen kann. Der Name „Kundgebung“ kommt aus einer langen Tradition der Synode. Immer wieder ist überlegt worden: Ist das eigentlich noch verständlich? Kann man das irgendwie anders übersetzen? Es ist im Grunde genommen eine Grundsatzerklärung zu einem Schwerpunktthema der Synode.

Wie sieht Ihre persönliche Bilanz der Tagung aus?
Ich habe mich sehr gefreut, dass eine relativ hohe Teilnehmerzahl da war, und wir Teilnehmende aus sehr unterschiedlichen Bereichen hatten. Insgesamt empfinde ich die Tagung als eine Ermutigung, denn wir haben uns nach der Synode gefragt: „Was machen wir jetzt? Wir haben so ein gutes Papier erarbeitet, da steckt viel drin – wie gehen wir aber damit um? Wie wird es konkret?“ Ich glaube, es ist uns gelungen zu vermitteln, dass es Sinn macht, sich noch einmal intensiv mit dem Papier auseinanderzusetzen. Es sind sehr konkrete Ideen dabei herausgekommen, konkrete Schritte in Richtung Rat der EKD, in Richtung Politik, in Richtung Landeskirchen, aber auch auf der europäischen Ebene.

Welche Schritte müssen jetzt als nächstes gegangen werden?
Wir müssen bei der ganzen Thematik Atomwaffen, Cyberwar, die Frage von autonomen Waffen, halbautomatisierten Waffen etc. noch weitere Klärungen herbeiführen. An diese Themen werden die Kammer für öffentliche Verantwortung oder der Rat der EKD und Fachleute aus der Wissenschaft noch einmal drangehen. Dann gibt es die Ebene der Landeskirchen. Ein ganz wichtiger Punkt ist: Wie bringen wir die Friedensthematik mit ihrer ganzen Vielfalt in die Ausbildung und Fortbildung von Pastorinnen und Pastoren, aber genauso von anderen Berufsgruppen? Wir bemerken immer wieder, dass es viele Dinge gibt, die gar nicht bekannt sind. Und ich glaube, dass die Friedensthematik tatsächlich auch eine Verankerung in den Ausbildungs- und Fortbildungszusammenhängen braucht. Das ist eine landeskirchliche Sache, und da müssen wir in den Landeskirchen Klinken putzen gehen und sagen, wo kommt das bei euch vor? Ferner gibt es eine Ebene, die eher im Rat der EKD oder in der Kirchenkonferenz stattfindet. Eine Idee war zum Beispiel, das Thema Frieden in einer Visitationsordnung zu verankern. Wenn die Landeskirchen ihre Gemeinden und Einrichtungen besuchen, sollte die Frage gestellt werden: Wie seid ihr mit dem Friedensthema unterwegs?

Damit diese Schritte verbindlich werden, braucht es finanzielle Ressourcen. Sind die vorhanden?
Das ist nicht ganz einfach, aber es gab auch in den letzten Jahren bei den Synoden immer wieder Schwerpunktsetzungen, bei denen es gelungen ist, neue Projekte zu fördern und Schritte zu gehen, die mit finanziellen Ressourcen hinterlegt wurden. Das ganze Thema Digitalisierung ist in den letzten Jahren so ein wichtiger Schwerpunkt gewesen. Da war jedem klar, dass das nicht ohne extra Finanzierung geht. Und wenn man jetzt das Thema Friedensbildung nimmt und man sich wirklich vornimmt, viele junge Menschen mit der Friedensbildung zu erreichen, in den Schulen oder in den Gemeinden – dann geht das nicht ohne finanzielle Ressourcen. Wir werden damit wir an die nächste Synode gehen und sagen, Ihr habt da etwas Tolles beschlossen, das wir gerne umsetzen wollen. Dazu brauchen wir aber Ressourcen.

Wie wurden die Themen Atomwaffen, autonome Waffen das geplante Rettungsschiff diskutiert?
Über Atomwaffen haben wir in diesen Tagen diskutiert. Es gab Menschen, die gesagt haben, dass sie noch eine klarere Botschaft, ein klares Bekenntnis zur Abschaffung der Atomwaffen, zum Atomwaffenverbotsvertrag, auch zum Abzug der Atomwaffen aus Büchel erwarten. Andere sagen, ja, aber das können wir in Deutschland nicht alleine entscheiden, weil wir in politische Systeme eingebunden sind. Diese Diskussion wird uns mit Sicherheit weiter beschäftigen. Wobei der Grundkonsens ja da ist: Wir wollen darauf hinwirken, dass es eine Ächtung dieser Waffen gibt und dass sie auch abgeschafft und aus Deutschland abgezogen werden. Aber wie kommen wir da hin? Da gibt es unterschiedliche Meinungen.
Das mit dem Rettungsschiff ist ja eine Initiative gewesen, die nicht direkt aus der Synode kam. Sie ist sozusagen zwischendurch entstanden, auf der Synode der EKD aber sehr positiv aufgenommen worden. Es gibt allerdings auch einige kritische Stimmen, die sagen, mit so einem Schiff begebt ihr euch in eine schwierige Situation. Aber ich finde, das ist ein wirklich klares Signal. Manchmal braucht es eben solche sehr konkreten Projekte, klare Schritte und Signale. Das Schiff ist für mich so ein Signal. Dass es jetzt gelungen ist, die Poseidon dafür zu übernehmen, ist super. Erstens, weil es gelungen ist, so schnell ein Schiff kaufen zu können und weil es konkret wird. Das ist eine klare Botschaft und eine sehr praktische Sache und dahinter steht ein unglaublich breites Bündnis. Das ist unglaublich toll. Ich weiß nicht, wie viele Organisationen es inzwischen sind, aber es sind sehr viele unterschiedliche zivilgesellschaftliche Gruppen und Institutionen, die in diesem breiten Bündnis mitmachen.

Fragen an Antje Heider-Rottwilm, Vorsitzende von Church and Peace e. V.

Martina Waiblinger: Wie ist ihre persönliche Bilanz der Tagung?
Antje Heider-Rottwilm: Ich habe mich auf die Tagung gefreut, weil der Prozess, der zu der „Kundgebung“ geführt hat, sehr intensiv war. Zwei Jahre hat er gedauert, und wir waren gespannt auf die Synode, die eine „Kundgebung“ verabschiedet hat, an der wir wirklich weiterarbeiten können. Und diese Tagung ist jetzt der Ort, wo wir das unter den einzelnen Themenbereichen wie Gewaltfreiheit, wie Europa, und der Frage der atomaren Bewaffnung und der Cyberwaffen genau angeschaut haben. Wir haben überlegt, welche Schritte jetzt weiter dran sind. Das hat die Tagung wirklich gebracht. In der Schlussrunde sind wir zu konkreten Schritten gekommen, zu konkreten Themen, auch, wer die Adressaten sind und wo wir initiativ werden wollen. Die große Frage ist jetzt, ob die Verantwortung, die die Evangelische Kirche – dadurch dass sie eine Synode gemacht und eine Kundgebung veröffentlicht hat – in diesem Prozess übernommen hat, ob diese Verantwortung auch in Bezug darauf erhalten bleibt, das, was da steht, konkret in kirchliches Handeln umzusetzen.

Also die Verbindlichkeit ist jetzt noch nicht geklärt?
Die Verbindlichkeit ist nicht geklärt, weil die Evangelische Kirche ein vielschichtiges Unternehmen mit vielen Akteurinnen und Akteuren ist. Die Konsequenzen aus bestimmten Beschlüssen haben ja immer die Seite des Engagements, aber auch der Strukturen, die geschaffen werden oder gestärkt werden müssen und natürlich die Seite der finanziellen Ressourcen. Das Engagement wird oft von Menschen getragen, die eh schon an dem Thema dran sind. Aber wie kommt das in die Strukturen, wie kommt das in die Breite? Und gibt es in diesen Zeitenwirklich finanzielle Ressourcen, die bewusst für diesen Prozess zur Verfügung gestellt werden, um umzusetzen, dass die Evangelische Kirche eine Kirche des gerechten Friedens wird?

Wie sieht es bei diesem Thema mit der europäischen Zusammenarbeit aus?
Das Thema Sicherheit und die Problematisierung eines militärgestützten Sicherheitsbegriffs ist ein großes kirchliches Thema. Es gibt auf der europäischen Ebene die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), in der, außer der Römisch-Katholischen Kirche, alle europäischen Kirchen und Freikirchen zusammenarbeiten – die Orthodoxen, die Anglikaner und die Protestanten – und es gibt eine Zusammenarbeit mit den europäischen Bischofskonferenzen. Es ist bisher gelungen, sich zu diesen Fragen immer wieder gemeinsam zu äußern und gegenüber den europäischen Institutionen auch sehr deutlich davor zu warnen, das Friedensprojekt Europa dadurch infrage zu stellen, dass jetzt plötzlich ein Gewicht auf Investitionen in Rüstung, in eine europäische Armee, in die sogenannte Ertüchtigung von Drittstaaten und Ähnlichem gelegt wird. Es besteht im Moment die Gefahr, dass aufgrund von finanziellen Problemen diese gemeinsame Stimme nicht mehr deutlich genug zum Ausdruck kommt. Die Konferenz Europäischer Kirchen lebt davon, dass die Mitgliedskirchen ihre Ressourcen und Personen zur Verfügung stellen. Im Moment gibt es keine Person für den Arbeitsbereich Versöhnung und Frieden, der eigentlich die Entstehung der Konferenz Europäischer Kirchen nach dem 2. Weltkrieg begründet hat. Es gibt da bei uns die große Sorge – die Begegnung der Kirchen miteinander ist ja schon ein Friedensprozess in Europa, Ost und West und Nord und Süd mit all den Konfessionen und ihren kulturellen Kontexten –, dass dieser Prozess und auch diese Stimme nicht mehr die Klarheit und Prägnanz haben kann, wenn es zu wenig Ressourcen dafür gibt. Deswegen haben wir die deutliche Erwartung, dass die Landeskirchen und die EKD genau nachschauen, was sie für das Thema Frieden in der KEK zur Verfügung stellen können.

Wir sind in einer ganz sensiblen Situation in Europa. Wir haben ein neues Europaparlament, wir haben eine neue Europäische Kommission, der Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre wird während der deutschen Präsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte beschlossen. Da werden die politischen Entscheidungen fallen, wo die Gelder hingehen, welche Agrarpolitik, welche Friedenspolitik gemacht wird, wie die Außenpolitik, wie die Wirtschaftspolitik, wie die Entwicklungspolitik gestaltet wird. Wir sind in einer sensiblen Phase in Bezug auf die Zukunft der Europäischen Union, und da müssen wir uns als Kirchen in Europa jetzt einbringen, kompetent und auch mit den entsprechenden personellen Möglichkeiten.

Sie erwarten also eine große Verbindlichkeit von den Landeskirchen und von der EKD, dass der Prozess umgesetzt wird?
Ich finde, indem solch ein Synodenprozess gestaltet wird, der Teil eines großen ökumenischen Prozesses der Weltchristenheit ist, indem solch ein Prozess auf dem Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens gestaltet wird bis in das höchste Entscheidungsgremium, das es innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland gibt, der Synode, hat die Kirche, hat die EKD meiner Meinung nach auch die Verpflichtung übernommen, die Konsequenzen aus solch einem Prozess und dann auch solch einer „Kundgebung“ tatsächlich zu ziehen und zusammen mit den Akteurinnen und Akteuren, die in dem Bereich arbeiten, wirklich Fakten zu schaffen. Wie das geschieht, darauf sind wir alle sehr gespannt.

Da wird noch viel Druck von Ihnen ausgehen, nehme ich an.
Das wird so sein, dass wir uns dafür weiterhin sehr engagieren.

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