Wandel durch Handel?

Ein Blogbeitrag zur Wirtschaftsethik in Zeiten des Krieges

„Wandel durch Handel“: Das war das Narrativ, das vor nun fast 60 Jahren in der Evangelischen Akademie Tutzing verkündigt wurde und das die Welt bis in die 1990er Jahre hinein erfolgreich veränderte. 1963 hat Egon Bahr, der Sprecher von Willy Brandt, zum ersten Mal die Grundlagen für eine auf Annäherung, Ausgleich und Frieden bedachte Ostpolitik der Öffentlichkeit vorgestellt.

Der Versuch, durch den Abbruch politischer und wirtschaftlicher Verbindungen oder durch die bewusste Verschärfung der Situation einen Zusammenbruch kommunistischer Staaten herbeizuführen, habe sich, so Egon Bahr, in der Vergangenheit als der falsche Weg herausgestellt. Das sowjetische Herrschaftssystem solle von innen her aufgelöst werden. Verstärkte Handelsbeziehungen mit dem Osten, erhöhten den dortigen Lebensstandard und würden auf Dauer auch die Konsumwünsche und damit die sonstigen menschlichen Ansprüche in der Bevölkerung wachsen lassen. „Wandel durch Annäherung“ – so nannte Egon Bahr diese neue Strategie. Und er schloss seine Rede in Tutzing mit dem – auch rhetorisch eindrucksvollen – Satz: „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Selbstbewusstsein genug haben können, um eine solche Politik ohne Illusionen zu verfolgen, die sich außerdem nahtlos in das westliche Konzept der Strategie des Friedens einpasst, denn sonst müssten wir auf Wunder warten, und das ist keine Politik.“

Heute lautet die bittere Erkenntnis des Ukraine-Krieges: Dieses auf friedliche Annäherung bedachte Narrativ ist Geschichte. Leider. Es hat sich überlebt. Russland und China zeigen uns nach einer Phase der Globalisierung: Handel geht auch ohne Wandel. Freie Märkte lassen sich ohne Probleme mit unfreien Bürgern bewirtschaften. Es hat sich eine andere Variante von „Wandel durch Handel“ z.B. in der chinesischen Außenwirtschaftspolitik durchgesetzt: Wer in China Autos verkaufen will, muss zum Los der Uiguren schweigen. Wandel und Veränderung erfolgt somit im Sinne chinesischer oder russischer Werte. Mit Hilfe des Aufbaus von wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Oder sogar durch einen Angriffskrieg, wenn es schneller gehen soll.

Der aktuelle Ukraine-Krieg mit seinen Gräueltaten erlaubt kein Abwägen. Wir haben es nicht mit einer unklaren Situation zu tun, sondern mit dem eindeutigen Bruch des Völkerrechts. Es werden Kriegsverbrechen begangen. Der Tod und das Leid von Menschen in der Ukraine, die ihr Leben, ihre Wohnung und ihren Arbeitsplatz verlieren, kann nicht durch einen noch so großen Gewinn im Russlandgeschäft aufgewogen werden. Es wäre geradezu zynisch, so zu denken und so zu argumentieren.

In diesem Krieg haben auch die Unternehmen deswegen die ethisch begründbare Pflicht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um diesen Krieg zu beenden. Dies kann auch heißen, die Investitionen in Russland beenden und ihre Geschäfte auf Eis legen. Ausnahmen muss es geben: Wenn z.B. mit lebensnotwendigen Medikamenten zu handeln ist, muss die russische Zivilgesellschaft geschützt werden. Aber mit Designer Taschen handeln? Oder mit Schokolade? Oder mit Klebestiften? Das muss nicht sein. Unternehmen, die ihren Betrieb in Russland einschränken oder ganz zurückfahren, haben dabei auch eine Verantwortung für die Mitarbeitenden vor Ort in Russland wahrzunehmen. Denn die Zivilgesellschaft darf nicht weiter ins Hintertreffen geraten. Was dies konkret heißt, muss unter ethischen und ökonomischen Gesichtspunkten genau abgewogen werden.

Im Großen und Ganzen hat es jedoch um der Verteidigung unserer Freiheit und des Friedens willen zu heißen: Wandel durch Nicht-Handel. Die daraus sich ergebenden Fragen sind enorm. Ganz abgesehen von der schwierigen und komplexen Frage eines möglichen Energie-Embargos und seinen möglichen Folgen. Die konkrete Wirtschaftsethik steht vor neuen Aufgaben in Zeiten des Krieges!

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