Vom Geist der Selbstüberwindung

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Von „Aufbruch“ ist in diesen Tagen die Rede, von einer „verbindenden Fortschrittsidee“, vom „Mut“ für mehr Klimaschutz. Das Stichwort „Transformation“ zu einer nachhaltigen Entwicklung macht immer mehr die Runde, und dieses Stichwort erinnert doch sehr stark an das, was wir in christliche Perspektive „Umkehr“ oder „Metanoia“ nennen. Ja, wir können hierzulande den aktuellen Lebensstil nicht fortsetzen. Er ist weder vor unseren Kindern und Enkelkindern zu verantworten noch auf Zukunft hin bezahlbar. Davon reden alle; jede und jeder weiß das. Und doch wagt keine und keiner, ein weiteres Stichwort hinzuzufügen: „Verzicht“ nämlich. Aber genau auf das, was damit gemeint ist, kommt es jetzt an: auf eine Selbstzurücknahme der eigenen Annehmlichkeiten. Natürlich: Das fällt allen schwer. Verdammt schwer. Abstriche machen und nicht immer noch mehr konsumieren, das will keine und keiner. Das ist gegen jede menschliche Natur.

So lassen uns Nachrichten wie diese aufhorchen: In der Nähe von Oldenburg wird eine Anlage zur Herstellung von E-Kerosin in Betrieb gehen. Europaweit einmalig. Wir brauchen also doch nicht zurückzustehen, so scheint es. Fliegen: Machbar und nachhaltig. Aber schaut man genauer hin, dann sehen wir schnell: Um allein in Deutschland den Bedarf an E-Kerosin eines Jahres zu decken, müsste der gesamte aus Windkraft hergestellte Strom eingesetzt werden! Ohne „Verzicht“ wird es also doch nicht gehen.

Wie kommen wir dahin? Wie können wir Frau und Mann dazu bewegen?

Mir persönlich macht hier ein biblisches Wort Mut: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Tim 1,7). So jedenfalls übersetzt Martin Luther. Schaue ich ins griechische Original, so findet sich dort neben Kraft und Liebe das dritte Wort, das am besten zu übersetzen ist mit „Mäßigung“. Im Gegensatz zu Hybris und Manie geht es bei diesem dritten Begriff um das vernünftige Maß. Ich finde, dies ist genau das, was wir heute brauchen: Kraft zum Wandel, Liebe und kooperatives Denken, aber dann auch das nötige Maßhalten. Luthers Übersetzung mit „Besonnenheit“ klingt mir dazu noch zu betulich. Es geht doch darum, dass in der Hoffnung auf das Neuwerden von Erde und Himmel Gott unsere menschlichen Maßstäbe wieder zurechtrückt.

Wir sind eben nicht die Herren dieser Welt, auch nicht die Krone der Schöpfung. Wir sind eine Kreatur unter vielen, aber eben eine solche, die Vernunft wahren kann. Die – Gott sein Dank – zur Mäßigung in der Lage ist. Ich meine, wir sollten unter dieser Perspektive das Wort „Verzicht“ in unseren Tagen ersetzen. Von „Selbstzurücknahme“, „Selbstbegrenzung“, „Selbstbeherrschung“ oder „Selbstüberwindung“ können wir nämlich sehr wohl reden. Und sollten es auch beherzt tun. Auch mit Verweis auf das Wort aus dem 2. Timotheusbrief, das Hoffnung macht. Das sind doch wunderbare Kompetenzen eines Menschen der Moderne: Kraft, Kooperation und Selbstbeherrschung. Das kann sie und er. Das kann und darf – Gott sei Dank – jedem Menschen zugetraut werden, und nicht nur Egoismus und Mehr-Haben-Wollen. In diesem Sinne könnte heute eine Präzisierung unseres überkommenen Menschenbildes angezeigt sein. Um unserer gemeinsamen Zukunft willen.        

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Bemerkungen :

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    Margarete Mühlbauer 14.10.2021 um 09:19
    Wir haben und leben in einer Fülle. Es steht uns / mir gut an mich zu begrenzen und somit nicht die ganze Fülle/ alle Möglichkeiten nutzen. Andere sollen auch was von der Fülle haben; mindestens soviel, dass sie leben können.
    Denn Leben wollen wir alle, Deswegen ist Teilen wichtig. Teilen lernen vorleben und wieder attraktiv machen. Ich kann sagen, dass ich durch Teilen nie weniger hatte.Ich wurde beschenkt. Ist das der Dank des anderen, der da als Geschenk zurück kommt? So kommt es mir vor.
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      Jörg Hübner 19.10.2021 um 06:38
      Sehr geehrte Frau Mühlbauer, vielen Dank für Ihren Kommentar. Sie sprechen zwei wichtige Aspekte an, die auch mich beschäftigen. Da ist auf der einen Seite die Frage, wie wir solch eine andere, neue Lebenshaltung "attraktiv", also anziehend, machen können. Unsere Akademiearbeit verstehe ich als Versuch, Mut machende Beispiele eine zukunftsfähigen Lebensweise zu diskutieren und ins Gespräch zu bringen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir dabei zunächst nur tastende Versuche unternehmen. Und da geht es Ihnen auf der anderen Seite um ein neues, attraktives Verständnis des Gebens. Ihnen geht es möglicherweise wie vielen anderen Zeitgenossen: Kaum beachtet wird eine Philosophie und Theologie der Gabe. Einige wenige Philosophen, Politökonomen und Theologen beschäftigen sich damit. Etwas bekannt ist Paul Ricouer mit seiner "Ökonomie der Gabe". Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Gabe erfordert nach Ricoeur in gewissen Bereichen ein Aussetzen der ökonomischen Berechnungen, damit wirklich alle leben können. Aber mit solchen Überlegungen stehen wir insgesamt noch sehr am Anfang. Im Grunde brauchen wir heute so etwas wie eine neue Aufklärung, einen Wandel der Denkweisen, eine Transformation der Verhaltensweisen. Ich freue mich, dass Sie mit Ihrer Erfahrung des Beschenkt-Werdens eine vergleichbare Erfahrung machen. Beste Grüße aus Bad Boll, Jörg Hübner