„Vom Vorurteil zur Zusammenarbeit. Hinzu einer besseren Kooperation von Sinti, Roma und Kirchen“

Vernetzungstagung von Akteuren aus den Landesverbänden Deutscher Sinti und Roma und den Kirchen

Gut dreißig engagierte Frauen und Männer aus den Landesverbänden Deutscher Sinti und Roma und aus den beiden großen Kirchen haben sich Anfang Dezember zwei Tage über die Notwendigkeit einer vertieften Zusammenarbeit von Sinti, Roma und Kirchen in der Bundesrepublik ausgetauscht.

Veranstaltet wurde diese Vernetzungstagung von den Evangelischen Akademien Berlin und Bad Boll in Kooperation mit dem AK Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg, dem Zentralrat und dem Landesverband Baden-Württemberg der Deutschen Sinti und Roma, der Evangelischen Akademie Villigst, der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau und der Diakonie Hessen, untertützt von den Landeskirchen und der EKD.

In Bad Boll wurde schnell deutlich, dass der Titel der Tagung wohl optimistisch gewählt war. Denn noch immer werden Sinti und Roma in der Gesellschaft und in den Kirchen nicht als eine nationale Minderheit wahrgenommen. Auch der Antiziganismus der Mehrheitsgesellschaft spiegelt sich in den Kirchen wider. Das Vorurteil der Mehrheitsgesellschaft ist somit immer noch präsent und für die Communities der Roma und Sinti alltägliche Realität.

Doch die ersten Schritte einer Zusammenarbeit von Sinti, Roma und Kirchen gegen Diskriminierung sind gemacht worden. Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg, verwies auf die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma, die sich seit den späten siebziger Jahren für die Rechte der Minderheit stark macht und dabei immer wieder auch von kirchlichen Initiativen Solidarität erfuhr.

Solch eine solidarische Form der Zusammenarbeit wird seit 18 Jahren im Arbeitskreis (AK) Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg betrieben. Auch dessen Arbeit und dessen Einsatz – zum Beispiel beim Zustandekommen des Staatsvertrages des Landes Baden-Württemberg mit dem Landesverband der Deutschen Sinti und Roma - würdigte Strauß. Die Tagung stand somit unter der Frage, ob so ein Modell der Zusammenarbeit auch in anderen Regionen der Bundesrepublik umsetzbar wäre.

Auch dem württembergischen Landesbischof Dr. h. c. Otfried July ist diese Begegnung mit Sinti und Roma ein echtes Anliegen, wie er in seinem Grußwort und seinen Diskussionsbeiträgen auf der Tagung betonte. Dabei müsse die Kirche ihren Verstrickungen in die Geschichte und Gegenwart des Antiziganismus, der Diskriminierung und Ausgrenzung ins Gesicht sehen. Darum soll gerade auch in den Kirchen an die Deportationen und Ermordungen von Sinti und Roma während der NS-Zeit vor 75 Jahren erinnert und gedacht werden.

Als dringliche Aufgabe mahnte er eine gründliche Aufarbeitung des Antiziganismus im Protestantismus an. Erst wenn die erschreckende Ausgrenzung einer Minderheit in der Vergangenheit durch die Mehrheitsgesellschaft und Kirchen ernstgenommen werde, könne Vertrauen wachsen. Den Kirchen wolle er Mut machen, solidarisch zu werden mit den Landesverbänden und Selbstorganisationen der Sinti und Roma. Die Arbeit gegen den Antiziganismus hält er für ein dringliches Aufgabenfeld kirchlicher Bildungsarbeit, um die Gemeindenfür dieses Thema zu sensibilisieren.

Einen kurzen Überblick über die Geschichte des mit religiösen Stereotypen und Motiven aus dem Aberglauben aufgeladenen Antiziganismus in den Kirchen gab Andreas Schulz von der Landeszentrale für politische Bildung. In seiner Skizze musste er dabei immer wieder darauf verweisen, dass es bei den meisten Fragestellungen noch große Forschungsdesiderate gibt. So vor allen Dingen zum Antiziganismus bei den Reformatoren, der „Zigeunermission“ und der Haltung der Kirche gegenüber der Ausgrenzung, Deportation und Ermordung der Roma und Sinti im nationalsozialistischen Deutschland. Eine Aufarbeitung der kirchlichen Schuld nach 1945 geschah im Fall der Sinti und Roma nur vereinzelt erst seit den 1970ger Jahren.

Von eigenen Erfahrungen der Diskriminierung berichtete Emran Elmazi, Mitarbeiter des Heidelberger Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma. Ebenso aber auch von der weitverbreiteten Nichtwahrnehmung der vielfältigen Community der Sinti und Roma in Deutschland durch die Mehrheitsgesellschaft. Aus seiner Sicht aber könnten die Kirchen eine wichtige Rolle spielen beim Abbau von Vorurteilen und Ignoranz. Für die Sinti und Roma wäre die Solidarität der Kirchen bei Themen wie dem Einsatz der Verbände der Sinti und Roma für den Erhalt der Gräber der Überlebenden des NS-Völkermordes eine wichtige Unterstützung und ein ebenso wichtiges Zeichen dafür, dass ihre Anliegen ernst genommen werden.

Über die Entstehung und die Ziele des Arbeitskreises Sinti/Roma und Kirchen berichtete Pfarrer Dr. Andreas Hoffmann-Richter, der Beauftragte der württembergischen Landeskirche für die Zusammenarbeit mit Sinti und Roma.

Dieser Arbeitskreis ist eine freie und offene ökumenische Initiative Akteuren in der Solidarität mit Sinti und Roma aus den Kirchen in Baden-Württemberg. Dadurch ist der AK in der Lage, deutlich Stellung zu nehmen und kontinuierlich an bestimmten Themen wie der kirchlichen Bildungsarbeit, den Gedenkveranstaltungen oder dem Einsatz für geflüchtete Roma aus Ost- und Südosteuropa zu arbeiten.

Die Kirchenleitungen kann er zwar auf bestimmte Themen ansprechen, verfüge aber über kein offizielles Vertretungsrecht.

Ob dieses Modell einer Zusammenarbeit von Vertreter_innen der Romaminderheit und der Mehrheitsgesellschaft auch auf die Zusammenarbeit in anderen Regionen übertragen werden kann, wurde auf der Tagung intensiv diskutiert. Dabei wurde auch über weitere Formen der Kooperation in anderen Regionen berichtet. Von guten Kontakten in Westfalen wie im Rheinland, in Berlin, Bayern und der Nordkirche. Man war sich einig, dass es sich lohnt, hier zunächst vor Ort und dann auch darüber hinaus weiter an einem bundesweiten Netz der Solidarität zu knüpfen – ausgehend von lokalen Initiativen, die ökumenisch, interreligiös, solidarisch und auf Augenhöhe versuchen, zu einer guten Zusammenarbeit von Sinti, Roma und Kirchen zu gelangen. Dabei sollten auch die Kirchen initiativ werden und auf die Landesverbände zugehen, das Gespräch suchen und sich deren Anliegen anhören und aneignen.

Für diese verbesserte Zusammenarbeit vor Ort wurden dann auch erste Verabredungen getroffen und weitere Vorhaben benannt: für gemeinsame Gedenkveranstaltungen von Landesverbänden der Sinti und Roma sowie den Kirchen im März 2018 in der Nordkirche und in Bayern, eine Vernetzung mit dem Bayrischen Bündnis für Toleranz und die Förderung studierender Roma und Sinti durch das Studienwerk Villigst.

Ein weiteres Treffen im Herbst 2018 soll möglichst auf einer noch breiteren Basis dieser weiteren Vernetzung dienen, damit es wirklich einmal heißen kann: „wir sind vom Vorurteil weg gekommen und leben nun eine gute Zusammenarbeit!“

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