Bad Boll. Die Notwendigkeit einer umweltverträglichen Mobilitätsstrategie wurde längst erkannt. Und auch, dass eine nachhaltige Mobilität nur auf unterschiedlichen Ebenen durch verschiedene Akteure – Städte und Gemeinden, Kommunen, Land und Bund – umgesetzt werden kann. Um die Attraktivität in Stadt und Land zu erhalten, braucht es konkrete, umweltverträgliche und innovative Mobilitätskonzepte, darin sind sich alle Podiumsgäste einig.
In ihrer Moderation formulierte Studienleiterin Sandy-Cheril Manton der Evangelischen Akademie Bad Boll bereits verschiedene Ansatzmöglichkeiten: „Wir sollten unsere Gewohnheiten besser überdenken und unsere Verkehrsmittel bewusster wählen. Zum Beispiel sind kurze Wege zu Fuß oder mit dem Rad am besten zurückgelegt. Für längere Strecken sollte Bus- und Bahn gewählt werden. So wäre das eigene Auto eben hauptsächlich für schwer erreichbare Orte vorbehalten. Der gute Mix macht es. Denn natürlich können nicht alle auf das eigene Auto verzichten. Deshalb sollten diese baldmöglichst klimaneutral fahren können.“
Forderungen an die Politik
In Gruppenarbeit hatten die Tagungsteilnehmenden dann konkrete Kernforderungen an die Politik entwickelt: Mehr Fördermittel für eine Trendwende im Verkehr zu Gunsten von Fußgängern, Radfahrern und ÖPNV-Nutzern. Den Aufbau und die Unterstützung von Fachkompetenz für die Verkehrswende bei Kommunen und Landkreisen. Sowie die dazu benötigte Technikoffenheit und Technologie-Neutralität, um die neuen Antriebstechniken stärker zu fördern.
Denn dass der motorisierte Verkehr mit seinen Umweltauswirkungen auch eine erhebliche gesundheitliche Dimension hat, zeigte Dr. Axel Tobias Kempa, Lungenfacharzt vom Klinikum Stuttgart, auf. Zahlreiche internationale Studien belegen, dass vor allem Feinstaub, aber auch Stickstoffdioxid die menschliche Gesundheit beeinträchtigen und die Immissionsgrenzwerte der EU ihre Berechtigung haben.
Eckpunkte für eine Verkehrswende
Die Verkehrsinfrastruktur 2030 könnte mit vier wesentlichen Eckpunkten eine Verkehrswende herbeiführen: mit der Verdopplung des ÖPNV, zu einem Drittel klimaneutralen Fahrzeugen, einen zu 50 % reduzierten KFZ-Verkehr und eine um deutlich erhöhte selbstaktive Mobilität zu Fuß oder dem Fahrrad.
„Für uns Christdemokraten geht gute politische Gestaltung stets vom Menschen aus. Nachhaltige Mobilität verstehen wir daher in einem ganzheitlichen Sinne, das heißt Ökologie, Ökonomie und Soziales gehen Hand in Hand“, so Nicole Razavi, MdL (CDU) und parlamentarische Geschäftsführerin sowie stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU-Landtagsfraktion im Wahlkreis Geislingen.
Mobilität für alle und für jeden Geldbeutel
Gabi Rolland, MdL (SPD) und umweltpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion des Wahlkreises Freiburg, sieht über die bekannten Akteure hinaus großes Potenzial im Ideenreichtum der Bevölkerung, um Mobilität für alle Menschen zu gewährleisten: „Neben ehrgeizigen politischen Zielen und deren konsequenter Umsetzung benötigt die Verkehrswende auch engagierte Ideen aus der Bürgerschaft. Initiativen wie das Mitfahrbänkle, Bürgerbusse oder der Verleih von Lastenrädern gilt es ernsthaft aufzugreifen und zu fördern.“
Dass nachhaltige Mobilität bereits gelebt wird, wurde anhand von verschiedenen Beispielen exemplarisch dargestellt: So präsentierte Gerhard Schnaitmann vom Zweckverband ÖPNV Ammertal die „Ammertalbahn“ – nur eines der Beispiele für eine erfolgreiche Reaktivierung einer Bahnstrecke, deren Fahrgastzahlen seit der Wiederbelebung kontinuierlich steigen. Die Strecke wird nun ausgebaut und elektrifiziert. Damit nicht ein großer Teil der Bevölkerung von der Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben abgeschnitten wird, erweitert der Öffentliche-Personen-Nahverkehr (ÖPNV) kontinuierlich sein Angebot vielerorts auch durch so genannte Bürgerbusse. Die Initiative Murg im Wandel stellte stellvertretend ihr Projekt „Bürgerbusse in Murg“ vor. Gabi Rolland betonte außerdem, dass nachhaltige Mobilität keine Frage des Geldbeutels sein dürfe und neben der Umweltverträglichkeit „auch bezahlbar und zuverlässig bleiben“ müsse. „Daher unterstütze ich die Idee einer ÖPNV-Jahreskarte für 365 Euro“, so die umweltpolitische Sprecherin der SPD.
Mobiliät der Zukunft durch neue Technologien
Neue Technologien und die Digitalisierung beeinflussen Mobilitätsformen und -verhalten, und dürfen laut Nicole Razavi: „In Zukunft wird autonomes und vernetztes Fahren unsere Mobilität revolutionieren. Dazu benötigen wir optimale Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung und eine leistungsfähige digitale Infrastruktur. Der Verkehrsträger Straße wird dabei weiterhin unverzichtbar für die Mobilität der Menschen und den Austausch von Waren bleiben. Deshalb braucht Baden-Württemberg auch weiterhin Investitionen in sein Straßennetz, um diese Lebensadern des Landes leistungsfähig zu halten.“
Elektro-Carsharing, Hybrid-Biogasbusse und Mitfahrbänkle
„Um beim Klimaschutz auf Kurs zu kommen, brauchen wir jetzt einen konsequenten Einstieg in die Mobilitätswende“, lautet die Forderung von Dr.-Ing. Martin Sawillion endlich aktiv zu handeln, statt nur zu appellieren. „Insbesondere unsere Innenstädte können damit viel Lebensqualität gewinnen“, so der Bereichsleiter für Grundsatzfragen und Förderprogramme der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg GmbH (KEA) weiter. Gerade der Ausbau und die Weiterentwicklung der klimaneutralen Fortbewegungsmittel wie Elektro-Carsharing im ländlichen Raum von WeilerMobil oder Hybrid-Biogasbusse in Augsburg entsprechen dem Anspruch von Dr.-Ing. Martin Sawillion an eine umweltverträgliche Mobilität.
Weitere Maßnahmen, um den KFZ-Verkehr in den Kommunen zu reduzieren, wurden in Form von Projekten wie dem „Mitfahrbänkle Dusslingen“ vorgestellt. Parallel zur Reduzierung des motorisierten Verkehrs muss aber auch die Infrastruktur der Fuß- und Fahrradwege in Städten und Kommunen nutzerfreundlicher gestaltet werden, um die Bevölkerung für einen Umstieg beispielsweise auf das Fahrrad zu motivieren. Die Arbeitsgemeinschaft Fahrrad- und Fußgängerfreundliche Kommunen in Baden Württemberg e.V. macht sich gerade dafür stark. Und eine Alternative zum Auto als Transportmittel bietet die Lastenfahrrad-Initiative Villingen-Schwenningen – Lastenfahrrad als Umzugshelfer oder eingesetzt im Außendienst.
Daniel Renkonen, MdL (Grüne), Verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Wahlkreis Bietigheim-Bissingen, sieht im Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel samt einer engeren Taktung einen wesentlichen Aspekt der Nachhaltigkeit: „Für mich steht fest, dass wir den Klimakollaps nur verhindern können, wenn wir eine nachhaltige Verkehrswende in unserem Land hinbekommen. Das gelingt nicht nur durch mehr Elektroautos auf unseren Straßen, sondern durch einen massiven Ausbau von Bussen und Bahnen, die gut miteinander vertaktet sein müssen. Hierzu setzen wir Grünen auf eine Mobilitätsgarantie in allen Städten und Gemeinden unseres Landes, in dem alle Kommunen spätestens bis zum Jahr 2025 zwischen 5 und 24 Uhr mindestens im Stundentakt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind.“
Ergänzend zu den Vorträgen erörterten die Tagungsteilnehmenden an Thementischen konkrete Fragen zu Eckpunkten der Studie „Verkehrsinfrastruktur 2030“ des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg. Die Tagung lieferte den Teilnehmenden anhand konkreter Beispiele einen vielseitigen Überblick über bereits realisierte Mobilitätsprojekte und Bürgerinitiativen sowie einen Ausblick auf zukünftige Konzepte und Strategien für eine nachhaltige Mobilität.