Lebendige Quartiere durch Bürgerschaftliches Engagement

Interview mit Dr. Brigitte Reiser, Stadtteilvernetzer Stuttgart e.V.

Der s.g. Werkzeugkoffer; Dr. Brigitte Reiser, Stadtteilvernetzer Stuttgart e.V.

Dr. Brigitte Reiser ist seit vielen Jahren ehrenamtlich in der Quartiersentwicklung engagiert. Sie kennt die Stadt Stuttgart aus diesem Blickwinkel sehr gut und bringt ihre Ideen in unterschiedlichsten Netzwerken ein.

Studienleiterin Ursula Werner vom treffpunkt 50plus hat mit Dr. Brigitte Reiser über ihr Engagement gesprochen – auch mit Blick auf die Frage: Wovon können Engagierte in anderen Kommunen profitieren?

Frau Dr. Reiser, Sie haben mit einer kleinen Gruppe 2013 das Netzwerk der Stadtteilvernetzer gegründet. Warum?

Wir waren gemeinsam der Ansicht, dass es in Stuttgart dringend ein Forum bräuchte, in dem Begegnung, Vernetzung und Wissensaustausch rund um das Thema „Quartier“ möglich sind. Es gibt viele Initiativen und Organisationen, die am Aufbau neuer Nachbarschaften, Quartiersnetzwerke und in themenbezogenen Initiativen arbeiten. Diesen sozialräumlich Engagierten möchten wir eine Austausch- und Lern-Plattform bieten und zwar über Fach- und Sektorengrenzen hinweg: bürgerschaftlich Engagierte, gemeinnützige und städtische Mitarbeiter_innen, Gewerbe- und Handel als Ausrichter von Stadtteilfesten – alle sind bei uns willkommen. Diese Vielfalt der Perspektiven bereichert und eröffnet neue Blickwinkel. Durch den inhaltlichen Austausch lernen wir voneinander und müssen das Rad nicht in jedem Bezirk neu erfinden. Dieses „peer-to-peer“-Denken sollte in der Engagement- und Förderpolitik eine viel größere Rolle spielen.

Wie arbeiten die Stadtteilvernetzer?

Wir haben in der Regel drei Treffen im Jahr an wechselnden Orten und mit unterschiedlichen Themen, die für Stadtteilvernetzer von Bedeutung sind. Unsere Webseite ist ebenfalls eine Wissenssammlung zur Quartiersvernetzung. In der Regel führen wir zusätzlich zu den Treffen immer ein paar Projekte durch, bei denen Interessierte aus dem Netzwerk mitmachen können. Stichwort: Werkzeugkoffer, Netzwerkstatt, peer-to-peer-Beratung. Die gesamte Arbeit erfolgt ehrenamtlich und ist damit abhängig von unseren Zeitressourcen.

Ein Leuchtturm des Netzwerks ist die Netzwerkstatt, die alle zwei Jahre stattfindet. Wie sieht eine solche Werkstatt aus?

Die Netzwerkstatt haben wir in Stuttgart als das Forum etabliert, bei dem sich Engagierte aus den Stadtteilen treffen, Initiativen sich vorstellen und Weiterbildungs-Workshops angeboten werden. Die nächste Netzwerkstatt veranstalten wir am 8. Oktober 2021 zum Thema „Aus dem Quartier heraus nachhaltig den Wandel gestalten“.

Die Publikation, die aus der 1. Netzwerkstatt entstanden ist, ist ein Werkzeugkoffer mit Ideen und Materialien, um selbst aktiv im Quartier zu werden. Was zeichnet dieses Tool aus?

Der Werkzeugkoffer ist partizipativ entstanden – aus der Praxis für die Praxis. Engagierte aus den Stadtteilen haben in zweijähriger Arbeit an zehn Kapiteln geschrieben und ihr Wissen weitergegeben: Vom Start einer Initiative bis zur Institutionalisierung der Kooperation, vom Thema Konflikte bis zu Fragen nach Inklusion, Digitalisierung, und Ansprechpartner_innen ist alles drin, um selbst ein bürgerschaftliches Projekt erfolgreich ins Leben zu rufen. Ganz wichtig: Wir haben auch elf Erfolgsgeschichten von Stuttgarter Initiativen im Werkzeugkoffer.

Sie selbst sind schon viele Jahre bürgerschaftlich engagiert. Was treibt sie an und was treibt Sie um?

Ich liebe es, mich für das Gemeinwesen zu engagieren, und ich habe viele gute Ideen, weil ich mit offenen Augen – und zu Fuß – durch meinen Bezirk gehe und in vielen unterschiedlichen Bereichen aktiv bin. Am spannendsten finde ich das Engagement in mein lokales Umfeld hinein. Hier brauche und schätze ich unterschiedliche Perspektiven, was Innovation ermöglicht. Allerdings fallen solche Initiativen oft aus den öffentlichen Förderprogrammen heraus, da diese meist auf Organisationen zugeschnitten sind.

Sehen Sie Veränderungen des bürgerschaftlichen Engagements seit der Corona-Pandemie?

Das Engagement wird digitaler. Dieser Lernprozess war mühsam und er hat nicht alle Engagierten erreicht, da viele – vor allem Ältere – immer noch ohne entsprechende Infrastruktur sind. Das Thema „digitale Inklusion“ muss in den nächsten Jahren im Stadtteil eine höhere Priorität erlangen. Aber auch die Polarisierung zwischen Arm und Reich sowie zwischen gut und schlecht situierten Stadtteilen, die sich durch die Pandemie verschärft hat, müssen wir stärker in den Blick nehmen, wenn die Stadtgemeinschaft nicht zerbrechen soll.

Welche Tipps geben Sie Menschen, wenn sie sich im Stadtteil engagieren wollen, aber nicht wissen wie das Thema anzupacken ist?

Einfach einen Aushang machen oder mit der örtlichen Zeitungsredaktion in Verbindung treten. Wenn die Idee sinnvoll ist, weil sie einen Bedarf deckt, dann werden sich andere Freiwillige finden. Es lohnt sich auch immer, Vereine, Initiativen und Kirchengemeinden anzusprechen, um eine Idee zu präsentieren. Oft freuen sich die etablierten Organisationen über neuen Input. Und nicht zuletzt können auch die örtlichen Verwaltungen weiterhelfen.

Mehr zu diesem Thema finden Sie auf der Homepage von Stadtteilvernetzer Stuttgart e.V. oder im Werkzeugkoffer.

Der Werkzeugkoffer kann beim treffpunkt 50plus für eine Schutzgebühr von 40 € bestellt werden.

Das nächste Treffen der Stadtteilvernetzer e.V. findet am 16. März 2021 zum Thema „Digitale Einbindung von Senioren und von Menschen mit Behinderung im Stadtteil – Erfahrungen aus der Pandemie”.

Die Diplom-Gerontologin/Alterswissenschaftlerin Ursula Werner ist Studienleiterin im treffpunkt 50plus. Der treffpunkt 50plus in Stuttgart ist die erste Adresse für Bildungs- und Kulturarbeit mit älteren und für ältere Menschen.

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