Den Rechtsstaat verteidigen

35. Forum Ökumene zum Thema Asyl- und Migrationspolitik

Gibt es einen Pull-Faktor, der Flüchtlinge nach Deutschland lockt? Ja, sagte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, beim 35. Forum Ökumene. „Aber es sind nicht die Sozialleistungen, es ist die Rechtsstaatlichkeit.“ Das Ziel dürfe nicht sein, die Standards in Deutschland immer weiter abzusenken. Anzustreben seien einheitliche Standards für die ganze EU. Der Jurist ist seit 2015 in Deutschland, er ist damals vor der drohenden Zwangsrekrutierung in Syrien geflohen. „Wären die Aufnahmebedingungen in Griechenland menschlicher, wäre ich selbst dortgeblieben. Aber wenn ich keinen Sprachkurs bekomme, keine Chance habe, dann ziehe ich weiter.“ Werde das Recht nicht geschützt, könnten sich diejenigen, die der Verlust im Moment noch nicht selbst treffe, keineswegs zurücklehnen. „Die Frage ist immer, wer in Kürze zur nächsten Zielscheibe wird.“

Zum Onlineforum mit Gästen aus ganz Deutschland hatten die Initiative „Pro Ökumene“, die Evangelische Akademie Bad Boll und die Evangelische Mission in Solidarität (EMS) in Stuttgart eingeladen. Anlass war der Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Zu Beginn stand ein Überblick über einige Folgen der verschärften Asylpolitik, die die Bundesregierung aktuell verfolgt. Es gibt mehr Abschiebungen, einmal gegebene Aufnahmezusagen werden zurückgezogen, Familienzusammenführungen gestoppt, es gibt bei der Abschiebehaft keine Pflichtanwälte mehr, das Kirchenasyl wird hinterfragt und Organisationen wie Pro Asyl sind mit Vorwürfen wie der Schlepperei konfrontiert.

Als die Assad-Herrschaft in Syrien endlich endete, sei er noch „voller Euphorie“ gewesen, sagte Tareq Alaows. Dreimal war er seitdem in Syrien, und seine Bilanz ist ernüchternd. „Diejenigen, die die Macht übernommen haben, sind nicht am Aufbau einer Demokratie und an der Aufklärung von Verbrechen interessiert.“ Er berichtete von Massakern, bei denen Tausende ums Leben kamen. „Im Süden wurden komplette Dörfer verbrannt, es gibt Folter.“ Die sogenannteWahl habe ihren Namen nicht verdient. „Indirekt haben weniger als ein Prozent der Bevölkerung das Parlament gewählt.“ Syrien sei weder sicher noch stabil, deshalb sei die deutsche Debatte über eine Rückkehr realitätsfern.

Zurückweisungen an der deutschen Grenze hat Tareq Alaows mit eigenen Augen beobachtet. In Polen hat er drei Zurückgewiesene getroffen, davon eine Frau mit Fußverletzung. „Wir haben die drei in ihren Klagen unterstützt und innerhalb von vier Wochen haben alle drei gewonnen. Die drei Geflüchteten hatten in Polen keine Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Seine Empfehlung: „Der Protest lohnt sich. Je früher wir eingebunden werden, desto mehr können wir bewirken.“

Jürgen Blechinger, Jurist und Leiter der Abteilung Flucht und Migration im Diakonischen Werk Baden, sieht seit einigen Jahren „eine Symbolpolitik mit Überbietungswettbewerb“ und einen „Abbau fundamentaler rechtsstaatlicher Prinzipien“. Mit der Reform des gemeinsamen europäischen Asylrechts, das im Juni 2026 in Kraft treten soll, werde suggeriert, dass damit die Probleme gelöst seien. Dass die Zahl der Asylbewerber derzeit rückläufig sei, werde als Erfolg verkauft. „Das hat aber nichts mit der strengen Politik zu tun, sondern mehr mit der Situation in den Herkunftsländern und den schwierigeren Fluchtrouten.“ 

Besonders kritisch sieht Jürgen Blechinger den Verweis auf sichere Drittstaaten. Die Dublin-Verordnung sei ein sehr ungerechtes System. „Die Länder an den EU-Außengrenzen sind betroffen, die in der Mitte fein raus. Wir brauchen in der EU ein faires Verteilungssystem, mit schnellen, effizienten und rechtsstaatlichen Verfahren.“ Außerhalb der EU schränke etwa die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention ein und wolle nur Flüchtlinge aus Europa schützen. Daher sei dort kein rechtsstaatliches Verfahren zu erwarten. Bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern gebe es ein Problem: „Manche Länder nehmen ihre Leute nicht zurück.“

Jürgen Blechinger verteidigt die Geflüchteten gegen den Vorwurf der irregulären Einreise. Da die Bundesregierung die freiwillige humanitäre Aufnahme eingestellt habe, bleibe nur noch diese Möglichkeit. Für entscheidend hält er die schnelle Integration und Beschäftigung. Dies sei auch wichtig für das Bild, das die Bevölkerung von Geflüchteten habe.

Das Kirchenasyl werde in Baden-Württemberg vom Staat traditionell geachtet, berichtete der Jurist. „Wir gehen in keine Kirche und holen Leute raus, heißt es.“ Dies gelte aber nur im Kirchengebäude. „Geht jemand über die Straße zum Einkaufen, muss er mit der Polizei auch in Zivil rechnen.“ Von einem solchen Fall berichtete Tareq Alaows aus Berlin. Die Polizei habe mehrere Tage vor der Kirche gewartet und dann einen geflüchteten Mann aus Afghanistan festgenommen und ihn abgeschoben.

Jürgen Blechinger erinnerte daran, zwischen Flucht und Arbeitsmigration – etwa als Fachkraft – korrekt zu trennen. Wer regulär als Arbeitskraft einwandern wolle, müsse aber das Visumverfahren einhalten. „Kommt er über das Asylverfahren, und dieses scheitert, droht im die Ausreisepflicht.“ 

Tareq Alaows ging auf Details zum Familiennachzug ein. Schon einmal sei diese unter Kanzlerin Merkel für zwei Jahre ausgesetzt worden. „Damals wurden aber nur neue Anträge gestoppt und als Kompromiss gab es ein Kontingent von 1.000 Menschen pro Monat.“ Diesmal werde die Bearbeitung komplett ausgesetzt, das verstoße gegen das Rückwirkungsverbotsprinzip. Auch ein minderjähriges Kind, das im Herkunftsland geblieben ist, sei aktuell kein Härtefall. Dabei fördere eine Familienzusammenführung die Integration. Sie solle ermöglicht werden, wenn der Wohnraum und der Lebensunterhalt gesichert seien, forderte er. 

Er warnte auch davor, Flüchtlinge als Sündenbock für anderes politisches Versagen zu missbrauchen – etwa, indem man ihnen den Mangel an bezahlbarem Wohnraum oder an Kitaplätzen anlastet. Würden die Geflüchteten, die im Baubereich arbeiten, fehlen, würden womöglich noch weniger neue Wohnungen gebaut als bisher. Auch in anderen Bereichen, etwa in der Gastronomie, seien mehr als die Hälfte der dort Tätigen in den vergangenen zehn Jahren nach Deutschland gekommen. Ohne sie würde vieles nicht mehr funktionieren, sagte er. 

Die Evangelische Akademie Bad Boll führt dies Veranstaltung "Der Einzelfall zählt – die verschärfte Asyl- und Migrationspolitik der Bundesregierung und ihre Folgen" im Rahmen Ihrer Reihe zu aktuellen Themen im Vorfeld der Landtagswahl in Baden-Württemberg mit dem Schwerunkt "Flucht und Migration" durch. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit Pro Ökumene - Initiative in Württemberg e.V. und EMS Evangelische Mission in Solidarität statt. 


Material:
www.ekiba.de/migration
https://www.proasyl.de/material/argumente-fuer-eine-humane-fluechtlingspolitik/

Kontakt: Peter Dietrich, Freier Journalist, Tel. 07153/8940715, peter.dietrich@journalist-pd.de
 

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