Folgen von Corona für Menschen in Haft

Fragen an Sabine Oswald, Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg

©DER PARITÄTISCHE Baden-Württemberg/Sabine Oswald

Die Folgen von Corona für Menschen in Haft und vor der Haftentlassung stehen eher am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dabei sind diese Menschen von einer verschärften Einschränkung, der ohnehin schon sehr reduzierten Kontaktmöglichkeiten im Gefängnis, in der Wahrnehmung ihrer auch im Gefängnis geltenden Grundrechte stark limitiert.

Studienleiter Wolfgang Mayer-Ernst hat dazu Sabine Oswald vom Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg und Bereichsleiterin Krisenintervention und Existenzsicherung beim Verband DER PARITÄTISCHE befragt.

Was bedeuten die Einschränkungen aufgrund des Gesundheitsschutzes in der Corona-Pandemie für Menschen in der Haft?

Seit Monaten herrscht infolge der Corona-Pandemie in der Gesellschaft der Ausnahmezustand. Weltweit greifen umfangreiche Maßnahmen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Das öffentliche Leben stand zeitweise nahezu still. Die Einschränkungen machten und machen auch vor den Justizvollzugsanstalten und den Mitgliedsvereinen im Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg nicht halt.

Um die Gefahr der Ansteckung mit dem neuartigen Corona-Virus für Gefangene und Bedienstete zu verringern und Kapazitäten für möglicherweise notwendige Isolierungen von infizierten Gefangenen zu schaffen, gab es zahlreiche Interventionen. So wurde beispielsweise die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen und Erzwingungshaft wegen geringer Vergehen, in Fällen, in denen die öffentliche Sicherheit nicht betroffen war, aufgeschoben. Auch der Zugang von Fremdpersonen in Haft wurde auf ein zwingend erforderliches Maß eingeschränkt bzw. zeitweise ganz untersagt.

Für die Inhaftierten in den Vollzugsanstalten ist das eine schwierige Zeit. Viele Betroffene berichten, dass die Tage in Haft noch langsamer vergehen und die Gleichförmigkeit des Alltags durch die Einschränkungen noch weniger durchbrochen wird als sonst. Auch das Wegfallen der wenigen sozialen Beziehungen wie Besuchskontakte durch Angehörige macht die Situation nicht einfacher. Natürlich haben die Justizvollzugsanstalten im Rahmen ihrer Möglichkeiten reagiert und versucht ausgleichende Maßnahmen zu ergreifen. So wurden beispielsweise Telefonzeiten erweitert oder Kontakte über Skype ermöglicht.

Wie wirken sich diese Maßnahmen auf den Übergang aus der Haft in den selbstbestimmten Alltag aus?

Der Übergang von der Haft zurück in die Freiheit und in ein selbstbestimmtes Leben ist ein entscheidender Schritt für jede inhaftierte Person. Um das Rückfallrisiko zu minimieren und eine erfolgreiche Resozialisierung zu ermöglichen, bedarf es eine gezielte Vorbereitung. Die „Kooperationsvereinbarung über die Integration von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in Baden-Württemberg“ ist hier wegweisend.

Die Vereine des Netzwerks Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg arbeiten hier eng mit allen beteiligten Institutionen und natürlich mit den Gefangenen selbst zusammen. Nur wenn entsprechende Maßnahmen gezielt und individuell für jede inhaftierte Person getroffen werden, können Schwierigkeiten wie Wohnungs- und Arbeitslosigkeit, Schulden oder beispielsweise Suchtprobleme bearbeitet und überwunden werden. Im Zuge der Corona-Pandemie ist diese Arbeit, die auch stark von der professionellen Beziehungsebene zwischen Inhaftierten und Sozialarbeitenden lebt, eingeschränkt, aber nicht unmöglich. Die Mitgliedsorganisationen des Netzwerks Straffälligenhilfe haben in Kooperation mit den jeweiligen Justizvollzugsanstalten ihren Beitrag zur Erschließung neuer Wege der Kontaktaufnahme geleistet.

Was konnten die Vereine in der Straffälligenhilfe in der Corona-Zeit unternehmen, um die Qualität der Begleitung bei der Haftentlassung zu gewährleisten?

Wie aufgezeigt, ist das sogenannte „Übergangsmanagement“ ein komplexer Prozess. In diesem werden in enger Kooperation zwischen den Justizbehörden und den Vereinen der freien Straffälligenhilfe systematisch Förderketten aufgebaut, um die Wiedereingliederung von Strafgefangenen zu ermöglichen. Die Arbeit, die stets fallbezogen und fallübergreifend stattfindet, erfolgt in den unterschiedlichen Projekten des Netzwerks Straffälligenhilfe nach festgelegten Qualitätsstandards. Ein wichtiger Baustein in diesem Prozess ist zum Beispiel das Erstgespräch mit den Klient_innen. Es zielt darauf ab, ein erstes Vertrauensverhältnis zwischen ratsuchenden Personen und Fachkräften der freien Straffälligenhilfe aufzubauen, Zuständigkeit, Anliegen, Ressourcen und wechselseitige Erwartungen zu klären oder eine notwendige Krisenintervention einzuleiten. Das in der Regel vor der Entlassung in der JVA stattfindende Gespräch konnte in Zeiten des Kontaktverbotes über Telefon oder im Einzelfall über Skype stattfinden. Auch Briefkontakte zu den Inhaftierten wurden genutzt.

Durch die Steuerungsgruppe des Netzwerks Straffälligenhilfe wurden beispielsweise freie Wohnplätze an die JVAen gemeldet, so dass die Sozialdienste zusammen mit den Klient_innen und Vereinen vor Ort individuelle Lösungen finden konnten. Vielfach wurden kreative und auch digitale Lösungen erarbeitet, um mit den Klient_innen auch in dieser schwierigen Zeit zu arbeiten. Hinzu kommt, dass u.a. die Wohneinrichtungen, Anlauf- und Beratungsstellen sowie die Betreuung und Einzelfallhilfen für Straffällige zur kritischen Infrastruktur gehören und auch in Zeiten des „Lockdowns“ – mit Einschränkungen und trotz aller Schwierigkeiten – ihren Beitrag zur Sicherstellung der Beratungs- und Versorgungsstruktur für dieses Zielgruppe geleistet haben.

Was braucht die Straffälligenhilfe, um gelingende Resozialisierung zu fördern?

Die Wiedereingliederung straffällig gewordener Menschen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nur wenn diese so verstanden wird, kann die Integration zurück in die Gesellschaft gelingen und ist der Weg in einen „normalen Alltag“ möglich. Gefangene werden nach einer Haftstrafe wieder zu Nachbarinnen und Nachbarn.

Die Arbeit der freien Straffälligenhilfe ist in hohem Maße professionell. Damit gewachsene und bewährte Strukturen bestehen bleiben und ein bedarfsgerechter Ausbau erfolgen kann, braucht es eine nachhaltige, verbindliche und auskömmliche Finanzierung in den Maßnahmen und Projekten. Überall da, wo dies noch nicht erfolgt ist, sind eine Verstetigung der Projekte und Maßnahmen im Haushalt des Landes Baden-Württemberg notwendig. Insbesondere in der jetzigen Krise braucht es eine Kompensation der COVID-19-bedingten Finanzierungsausfälle in den Projekten des Netzwerks Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg. Gerade, weil viele Vereine der Straffälligenhilfe dem Gemeinwohl streng verpflichtet sind, dürfen sie kaum Risikorücklagen bilden. Erschwerend kommt hinzu, dass sie aufgrund der Finanzierungsstruktur kaum von staatlichen Rettungsprogrammen profitieren können.

Im Zuge der zunehmenden Ökonomisierung der Krise wird sich zeigen, ob die freie Straffälligenhilfe mehr Wertschätzung erfährt als nur „Lob und Applaus“. Im Fokus stehen bei den Trägern neben Finanzierungssorgen aber auch ganz praktische Fragen. Sie bewegen sich im Spannungsfeld zwischen dem Wohlergehen der Adressat_innen und der Sorge um Mitarbeitende. So braucht es beispielsweise dringend klare Regeln in Bezug auf Corona-Testungen bei Neuaufnahmen in die Einrichtungen der Straf- und Wohnungslosenhilfe und den Zugang zu Schnelltests. Denn gerade in der nahenden kalten Jahreszeit müssen auch kurzfristige Aufnahmen ermöglicht werden, ohne Mitarbeitende und andere Bewohner_innen in Gefahr zu bringen.

Gab es durch Corona auch Anstöße für Dinge, die in der Haft und bei der Haftentlassung besser gemacht werden könnten?

Wir sind schon gut, aber besser geht natürlich immer. So wurde die Corona-Pandemie auch bei uns zum Beschleuniger der Digitalisierung. Im Kampf gegen die Ausbreitung der Pandemie hat die Digitalisierung in vielen Bereichen deutlich an Fahrt aufgenommen und sich vielerorts als eine Stütze in der Krise gezeigt. Trotzdem haben auch wir noch digitale Defizite, die dringend aufgearbeitet werden müssen. Gerade hier hat die Sozialwirtschaft insgesamt das Problem, dass sie in der Digitalisierungsstrategie des Landes nicht vorkommt und nötige Investitionen oft an finanziellen Ressourcen scheitern. Im Zuge der Pandemie hat sich auch gezeigt, dass die Implementierung einer Datenbank zur landesweiten Erfassung freier Wohnplätze beispielsweise in den Einrichtungen der Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg ein hilfreiches Instrument ist, an dessen Umsetzung wir schon arbeiten.

Bei all den positiven Entwicklungen in Richtung Digitalisierung darf aber nicht vergessen werden, dass unsere Klientel hier dringend auch durch entsprechende Angebote mitgenommen werden muss, um nicht weiter ins soziale Abseits zu geraten.

Der Theologe Wolfgang Mayer-Ernst ist seit 2014 Studienleiter für den Themenbereich „Gesellschaft, Politik, Staat“ an der Evangelischen Akademie Bad Boll. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Politik und Recht.

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