Heute gibt es Dampfnudeln

Herausforderungen im Krisen-Alltag am Beispiel der Dampfnudel

Damit verfolgen wir mehrere Zwecke. Multi purpose, sozusagen.

In Zeiten der Krise bin ich quasi alleinerziehend und arbeite – multi tasking, sozusagen – im sogenannten Homeoffice, bin Lehrerin für eine Erstklässlerin, Erzieherin für eine durchaus fordernde Vierjährige und ersetze, wenn auch nur für diese beiden, den Mensakoch. Dann ist es ja logisch, dass auch Dampfnudeln mehrere Zwecke erfüllen müssen.

Zielvorgabe 1 der Dampfnudel-Aktion: Kinder zufrieden stellen.

Schon nach den ersten Tagen des Anti-Corona-Daheimbleibens gab es Unmut über meinen Ersatz der Kita- und Schulverpflegung. Irgendwie waren unsere Vorräte zu vegan. Kein Wunder, wenn man die Produkte sonst überwiegend frisch beim Metzger Aichele, im Boller Dorfladen und an der Milchtankstelle besorgt. Reis mit Linsen, Chapati mit Spinat und Polenta mit Erdnusssoße kommen nur bedingt an, und auch Nudeln mit Tomatensoße gehen irgendwann nicht mehr so gut. Dampfnudeln sind immerhin was Besonderes und allein die Aussicht darauf steigert die Stimmung erheblich. Ein unschlagbares Argument, wenn die Kinder immer wieder vom Laptop weggescheucht werden und dies natürlich entsprechend quittieren.

Zielvorgabe 2 der Dampfnudel-Aktion: Verbrauch der gehorteten Hefe. Das Mehl vor dem Schicksal des Maisgrieß bewahren.

Aus Versehen haben wir zu viel Hefe gehamstert. Wir machen in „normalen“ Zeiten recht viel mit Hefeteig und waren sehr verwundert, dass der Kauf dieser gar nicht so lange haltbaren Pilzkulturen gleich zu Beginn der Krise offenbar bei Vielen als Bewältigungsstrategie diente. Nach dem ungewohnt erfolglosen Versuch, auch nur ein Stück zu ergattern, beauftragte ich zur Steigerung der Chancen (Zielvorgabe 1 im Nacken) gleich zwei befreundete Einkaufshelfer mit der Beschaffung von Hefe – offensichtlich zu einem Zeitpunkt, an dem gerade Nachschub im Supermarkt angekommen war. Das Ergebnis waren stolze fünf kleine Quader in kariertem Papier in unserem Kühlschrank. Wie gesagt, bei uns kommen die auch ohne Probleme weg.

Moment, „ohne Probleme“? Nach aktuellen Hochrechnungen in unserem Küchenschrank wird das Mehl bald knapp. Na ja, ich spekuliere auf die örtliche Mühle und denke an das ebenfalls von Vielen gehamsterte Mehl. Auch die Nachbarin gibt zu, dass sie Hefe und Mehl in rauen Mengen gehortet hat, obwohl der örtliche Bäcker die fertigen Hefezöpfe nach wie vor im Sortiment hat.

Ich möchte nicht wissen, wie viele der gehamsterten Lebensmittel im Müll landen. Die einen kommen vielleicht schon recht bald in die Tonne: wenn die Hefe schimmelt, die Butter einen gelben, glasigen Rand kriegt oder wenn sich doch eine Mehlmotte eingeschlichen hat. Letzteres war bei unserem Maisgrieß der Fall. Wir haben ihn trotzdem noch verwendet. Ob da jetzt die schwäbischen Gene der Sparsamkeit oder vielmehr meine Erfahrungen aus zwei Jahren Leben in Äthiopien zum Tragen kommen, ist nicht so wichtig. Lebensmittel sind WERTvoll, gerade in der Krise, und man weiß ja wirklich nie. Die Kinder haben sich jedenfalls freiwillig und eigenständig gegen das vom Kindergarten vorgeschlagene Salzteig-Basteln entschieden und stattdessen lieber noch Kaiserschmarrn auf ihren Wunschspeiseplan gesetzt. Passt.

Ich frage mich aber auch, was mit den vielen auf Vorrat gekauften Lebensmitteln und anderen Dingen passiert, wenn die Krise (hoffentlich irgendwann) vorbei ist. Haben die Leute das mit dem Wert verinnerlicht und essen ihre Nudeln, trinken ihre H-Milch auch noch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums? Auch Toilettenpapier ist ja im Moment ein knappes, wertvolles Gut und avancierte damit sogar zum Sinnbild der Krise. Aber sind wir uns dessen bewusst, dass wir „normalerweise“ (sprich vor der Krise) ganze Wälder in Form von Klopapier in die Kanalisation gespült haben, da die Zellstofffasern ganz überwiegend nicht aus recyceltem Papier, sondern aus teilweise illegal bzw. nicht nachhaltig geschlagenem Holz gewonnen werden? Immerhin ist mit einem Ende der Maßnahmen nicht so früh zu rechnen, dass Klopapier in der Nacht zum Ersten Mai zwischen Einfahrten und Zäunen aufgespannt wird. Zumindest nicht dieses Jahr.

Zielvorgabe 3 der Dampfnudel-Aktion: Zeit schinden.

Klingt paradox, ist doch die Herstellung von Dampfnudeln einigermaßen zeitaufwendig. Viele Gerichte gehen schneller, machen weniger Arbeit. Aber: Hefeteig muss gehen und verschafft daher immer wieder kleine Reprisen, die in Kombination mit Ziel 1, der vorfreudebedingten guten Laune, zum Arbeiten genutzt werden können.

Zugegebenermaßen gestaltet sich das Ganze als Hinhaltetaktik. Aber es zahlt sich aus und wird toleriert. Und wenn ich doch mal zum Konsum von Nachrichtensendungen komme, stelle ich fest: Viele der Maßnahmen, mit denen auf die Covid 19-Pandemie reagiert wird, laufen nach demselben Muster ab wie die Dampfnudel-Aktion:

Machen und abwarten. Hoffen, dass es gelingt, dass es was wird. Zeit gewinnen.

Dr. Regina Fein ist seit 2012 Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Bad Boll im Themenbereich „Wirtschaft, Globalisierung, Nachhaltigkeit“. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Umwelt, Nachhaltigkeit und Technologie.

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