Nicht wegschauen, Lösungen suchen!

Bad Boll. Kleider machen Leute. Dieses Sprichwort gilt heute noch genauso wie vor 140 Jahren, als Gottfried Keller seine gleichnamige Novelle verfasste. Doch wie steht es um die Menschen, die in den Entwicklungsländern die Hosen, Hemden und Schuhe herstellen? Wie sieht es aus mit der Fairness gegenüber Bauern und Näherinnen, die in der Dritten Welt für karge Hungerlöhne arbeiten müssen? Wie sind die sozialen und ökologischen Bedingungen, insbesondere beim Anbau und der Verarbeitung von Baumwolle? Diese und andere Fragen haben die Teilnehmer der Tagung „Nachhaltig erfolgreich – Neue Chancen im Textilmarkt“ diskutiert, die vom 3. bis 4. April 2014 in der Evangelischen Akademie Bad Boll stattfand.
Bei dem Erfahrungsaustausch, der von Studienleiterin Carmen Ketterl und dem Ulmer Wirtschafts- und Sozialpfarrer Martin Schwarz in Kooperation mit dem Ulmer Initiativkreis nachhaltige Wirtschaftsentwicklung e.V. (unw) im Rahmen des CSR-Projekts „Ulmer Netzwerk gesellschaftliche Verantwortung im Mittelstand“ organisiert wurde, waren die Hauptprobleme der Textilindustrie schnell erkannt: komplexe und intransparente Lieferketten, instabile Geschäftsbeziehungen, ein sehr niedriges Lohnniveau, gravierende Mängel bei Umweltschutz und Arbeitssicherheit in den produzierenden Ländern und - noch immer - Kinderarbeit. Die Teilnehmenden waren sich einig, dass es wichtig ist, die weltweiten Kontrollen zu verschärfen sowie auch die Position der deutschen Textilproduzenten zu stärken. Dabei dürfe man jedoch auch nie den Blick auf die Arbeiter zum Beispiel in Bangladesch verlieren, wie eine Teilnehmerin forderte: „Wir müssen die Existenzen hier und dort absichern.“

Prof. Martin Müller
von der Universität Ulm und Mitorganisator der Tagung räumt mit dem Mythos auf, dass ökologisch hergestellte und fair gehandelte Textilien viel teurer sein müssen. Die tatsächlichen Mehrkosten für Bio-Baumwolle seien eigentlich gering, aber die übliche Zuschlagskalkulation in der textilen Lieferkette führe dazu, dass in jedem Verarbeitungsschritt ein Öko-Aufschlag vorgenommen werde, der das Endprodukt unnötig verteure.
Tobis Meier von der Schweizer Entwicklungshilfeorganisation Helvetas Swiss Intercooperation e.V. berichtete, die 25.000 US-amerikanischen Baumwollanbauer erhielten 2001/2002 fast 4 Milliarden Dollar Subventionen. Das sei mehr als das Bruttosozialprodukt von Burkina Faso, wo zwei Millionen Menschen von der Baumwolle leben, mehr als die Hälfte davon in Armut. Die Abschaffung dieser marktverzerrenden Subventionen wäre laut Meier ein gewaltiger Schritt, die sozialen Probleme im Baumwollanbau zu lösen. Von Händlern und Politik forderte Meier: „Nicht wegschauen, Lösungen suchen!“ Helvetas kaufe von Kleinbauern im Süden biologisch angebaute Baumwolle zu fairen Preisen und ermögliche ihnen damit ein existenzsicherndes Einkommen. Gleichzeitig würden Projekte im Bildungs- und Gesundheitsbereich unterstützt. Auch bei der Weiterverarbeitung von der Spinnerei über die Färberei bis zur Konfektionierung verlange Helvetas die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards. „Mit dem Kauf dieser Kleidung übernehmen Kunden Verantwortung“, schloss Meier.
Dieter Overath, Geschäftsführer von TransFair e. V. verteidigte auf der Tagung die Zusammenarbeit mit Discountern. „Den Bauern im Süden ist es egal, ob ihre Produkte bei Lidl verkauft werden oder im Weltladen. Für sie zählt, dass sie möglichst viel verkaufen und einen fairen Preis dafür bekommen.“ Um das Handelsvolumen von fair gehandelter Baumwolle zu erhöhen, führte TransFair neben dem bekannten, auf einzelne Produkte bezogenen Fairtrade-Siegel mit dem Fairtrade Baumwoll-Programm ein weiteres Zertifizierungsmodell ein. Oftmals ließen es nämlich Produktionsprozesse nicht zu, die Fairtrade-Baumwolle separat zu verarbeiten. Daher könnten sich Unternehmen verpflichten, einen bestimmten Anteil an fair gehandelter Baumwolle im Gesamtsortiment zu verwenden. Je nach Anteil dürften die Unternehmen ihr Engagement kommunizieren oder Kleidungsstücke mit einem entsprechenden Hinweis versehen. Ein ähnliches Modell bei Kakaoerzeugnissen habe zu sehr guten Zuwächsen geführt.
Andreas Merkel, Geschäftsführer der Spinnerei Gebrüder Otto in Dietenheim und Mitinitiator der Tagung, bezeichnete Nachhaltigkeit als Schlüsselthema für die deutsche Textilindustrie. In einer Branche, in der die Zahl der Betriebe in Deutschland in 15 Jahren um 62 Prozent zurückgegangen ist, behauptet er sich mit einem ökologischen Konzept, innovativen Verfahren und hochwertigen Garnen. Mit dem von Otto entwickelten Recot²-Verfahren werden Produktionsabfälle der Spinnerei wieder in die Garnherstellung zurückgeführt. So spart ein Kilo Recot²-Garn 5.000 Liter Wasser.
Sina Trinkwalder, Gründerin der Textilmanufaktur manomama in Augsburg, ermutigte die Teilnehmenden in ihrem engagierten Vortrag, alte Denkmuster hinter sich zu lassen: „Geht nicht, gibt‘s nicht“. Mit der traditionellen deutschen Textilwirtschaft ging sie hart ins Gericht: „Es war keine Not, die die Textilbranche gezwungen hat, die Produktion nach Asien oder Osteuropa zu verlagern. Es war Gier.“ Die junge Unternehmerin wurde deutschlandweit bekannt, weil sie mit inzwischen 140 Näherinnen und Nähern produziert, die auf dem regulären Arbeitsmarkt eigentlich keine Chance hatten. Auch sämtliche Vorprodukte bezieht Trinkwalder regional. Ihr jüngster Coup ist eine Zusammenarbeit mit Bioland e. V., denn auch bei ökologischen Standards ist die Unternehmerin kompromisslos. Ihre Beschäftigten nennt sie „Familie“ und kommt ohne Hierarchie und Verwaltung aus. Für sie ein klarer Kostenvorteil.
Aus der Sicht von Dirk Vollertsen von Bioland e. V. kann die Textilbranche von der Bio-Lebensmittelbranche lernen. „Die Textilbranche steht heute da, wo wir in der Bio-Landwirtschaft vor 15 Jahren standen. Der Markt ist unübersichtlich, die Verbraucher schlecht informiert und öko-faire Textilien sind Nischenprodukte“. Man müsse sie mühsam im Internet oder in kleinen Läden in schlechter Lage suchen muss. Der Bio-Lebensmittelmarkt dagegen wachse so stark, dass die Nachfrage inzwischen das Angebot der deutschen Biobauern weit übertreffe. Der Öko-Anbauverband Bioland habe wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen, so Vollersten, denn Verbraucherinnen und Verbraucher vertrauten dem Bioland-Siegel. Er kündigte ein verstärktes Engagement seines Verbandes im Bereich Textilien an.
Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Labels Vaude Sports, berichtete eindrücklich vom mühsamen Weg, bis 2015 der umweltfreundlichste Outdoor-Ausrüster Europas zu werden. Seit 2001 arbeitet VAUDE mit dem derzeit strengsten Umweltstandard Bluesign. Dabei wies von Dewitz auf ein Grundproblem von Funktionskleidung hin: „Die Kleidung besteht aus Erdölprodukten, sie wird mit Chemie behandelt. Daher kommt die Funktion.“ Bisher gebe es dazu keine befriedigenden Alternativen. VAUDE treibe aber den Ausstieg aus der Verwendung von Flourcarbonen (PFC) seit langem voran. Außerdem verzichte VAUDE auf Gore-Tex, da es PFC enthalte und verwende stattdessen das weniger bekannte Sympatex. Dies sei jedoch ein klarer Marketing-Nachteil. Vaude bemühe sich auch, seiner sozialen Verantwortung in den Produktionsländern gerecht zu werden. Das Unternehmen ist seit 2010 Mitglied der Multistakeholder-Initiative Fair Wear Fundation. Die Mühe lohne sich aber, so die Unternehmerin: „Es war toll zu sehen, wie nach und nach auch die Mitarbeiter von der Begeisterung für ökologische und faire Produkte angesteckt wurden.“
Zwei Workshops gingen der Frage nach, wie ökologisch und fair hergestellte Kleidung den Weg aus der Nische finden und sich auf dem Markt gegenüber dem Zwei-Euro-T-Shirt behaupten kann. Eine Arbeitsgruppe diskutierte über öffentliche Beschaffung. „Das Land hat bei verantwortlicher Beschaffung eine Vorbildfunktion“, sagt Uwe Kleinert, der als Fachpromotor für verantwortliche öffentliche Beschaffung das Thema in Land und Kommunen voranbringen will. Dafür gelte es, die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, Kompetenzstellen zur Unterstützung der Beschaffer einzurichten, zu beraten und zu motivieren. In Zürich tragen Polizisten schon heute Hemden aus Bio-Baumwolle und Angestellte in Pflegezentren arbeiten in Berufskleidung aus fairem Handel. Die Zürcher haben 2008 in einer Volksabstimmung die nachhaltige Entwicklung ihrer Stadt in der Gemeindeordnung verankert, berichtete Beat von Felten vom Umwelt- und Gesundheitsschutz der Stadt Zürich. Für den Experten ist verantwortliche Beschaffung ein notwendiger Baustein zur Umsetzung dieses Ziels, warnte jedoch: „Trotz guter Beispiele ist nachhaltige Beschaffung kein Selbstläufer.“
Der zweite Workshop nahm den Einzelhandel in den Blick. Rolf Heimann, verantwortlich für Nachhaltigkeit und Innovation bei Hessnatur, stellte klar: Auch öko-faire Kleidung muss vor allem gut aussehen. Er vertrat ein ganzheitliches Verantwortungskonzept, das Ökologie, Arbeitsbedingungen, faire Handelsbeziehungen und nachhaltige Produktion verbindet. Hessnatur setzt verstärkt auf eigene Shops in guten Lagen mit hochwertiger Gestaltung. „Es ist wichtig, dass man die Kleidung anprobieren und die Qualität fühlen kann.“ Geplant ist außerdem eine Internet-Plattform, die dank Partnerunternehmen ein erweitertes Angebot bietet. Nora Papajewski von EcoCarrots betonte ebenfalls, dass neben origineller Mode der direkte Kontakt mit Kunden und die Aufklärung über verantwortlichen Konsum wichtige Erfolgsfaktoren seien. Sie setzt auf hohe Qualität und mit dem Global Organic Textil Standard (GOTS) auf den europaweit besten Standard für Öko-Textilien. Die Teilnehmenden stimmten überein, dass ökofaire Kleidung den modischen Vergleich nicht mehr scheuen muss. Jedoch seinen mehr Aufklärung, übersichtlichere Kenn-zeichnung und bessere Präsentation im Einzelhandel erforderlich, um das Nischendasein zu beenden.
Der Unternehmer Andreas Merkel blickte nach den Gesprächen optimistisch in die Zukunft. Er wisse, dass sich die längst überfälligen Verbesserungen in der weltweiten Textilproduktion nur schrittweise, Nadelstich für Nadelstich, erzielen lassen: „Im Bereich Nachhaltigkeit besteht in dieser Industrie ein großer Nachholbedarf und es ist wichtig, dass wir fair miteinander umgehen. Dazu gehören vernünftige Produkte, deren Herkunft jederzeit nachvollziehbar ist.“ Auch der unw-Vorsitzende Martin Müller verließ die Evangelische Akademie Bad Boll mit viele neuen Anregungen und Perspektiven: „Ich bin sehr optimistisch, dass wir mit viel Geduld und vielen Akteuren auf verschiedenen Ebenen zu einer noch größeren Bewegung werden können.“

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