Aufrüsten auf Kosten der Ökologie?

Ein Blogbeitrag zum Dilemma der aktuellen Friedensbemühungen

Der Ukraine-Krieg wird als tiefe Zäsur in die Geschichte eingehen. Und mit dieser Zäsur kehren alte, längst vergessene Sorgen zurück: Kehrt das Block-Denken zurück? Gewinnt die atomare Bewaffnung als einzupreisendes Kalkül einer Friedens- und Sicherheitsordnung erneut an Bedeutung? Mehr als 30 Jahre lang verschwand diese Sorge in der Versenkung einer Weltgemeinschaft, die durch die fortschreitende Globalisierung zusammenwuchs. So schien es jedenfalls. Das alles ist möglicherweise nun Geschichte.

Zur Geschichte gehört auch die Friedensbewegung der 1980er Jahre. Die Proteste auf der Bonner Hofgartenwiese. Oder in Mutlangen. Dorothee Sölle gehörte damals zu den führenden Theolog_innen. Nach dem Fall der Mauer verlor sie jedoch zunehmend an Bedeutung. 2001 hielt sie in Bad Boll ihren letzten Vortrag, bevor sie – 73jährig – im Krankenhaus Göppingen an einem Herzinfarkt starb. Ihre Theologie erscheint mir heute aktueller denn je, vor allem ihre Schöpfungstheologie.

„Die ökologische Katastrophe“, schrieb sie 1985, „die heute über uns hereinbricht, ist durch die christliche Tradition mitverursacht. […] Eine Theologie der Schöpfung muss in der Lage sein, uns zu lehren, wie wir die Erde mehr lieben können.“ Dazu gehört für Dorothee Sölle, dass wir uns mehr als in der Vergangenheit als „Mitarbeiter an Gottes Schöpfungswerk“ verstehen lernen. Als verantwortliche Haushalter eines andauernden Schöpfungsprozesses, der die alltäglich ausgeübte „Gewalt gegenüber der Natur“ beenden hilft. Insbesondere die Rüstungsindustrie geht hier nach Dorothee Sölle den Weg in die umgekehrte Richtung: „Jede neue Raketenentwicklung bedeutet weniger Traktoren für die Entwicklung der Landwirtschaft. Die Rüstungsausgaben, die im Jahr 1984 weltweit auf 800 Milliarden Dollar angewachsen sind, bezeichnen das größte Wirtschaftsverbrechen, das je in der Geschichte begangen worden ist.“

Das sind Sätze, die mich angesichts des Ukraine-Krieges aufhorchen lassen. Und auch angesichts russischer Talk-Shows, in denen offen darüber debattiert wird, wie man mit einer unter Wasser gezündeten Atombombe die britischen Inseln durch einen Riesen-Tsunami von der Landkarte auslöschen könnte. Welche absurden, geradezu (selbst)mörderischen Gedanken und Vorstellungen machen aktuell die Runde. Müssen wir nicht als Christinnen und Christen bei allen Versuchen, Waffenlieferungen an die Ukraine zu rechtfertigen, mit Dorothee Sölle Einhalt gebieten, wenn nun auch auf westlicher Seite wieder die Förderung und Stationierung von Atomwaffen in Erwägung gezogen wird? Wie viel Kraft und Ressourcen gehen, und das ist ja auch das entscheidende Argument von Dorothee Sölle, damit für die menschliche Entwicklung hierzulande und im globalen Süden verloren? Und das in einer Zeit einer sich zuspitzenden ökologischen Krise, in der die Versorgung mit Lebensmitteln täglich problematischer wird. Ich wiederhole den Satz von Dorothee Sölle: „Jede neue Raketenentwicklung bedeutet weniger Traktoren für die Entwicklung der Landwirtschaft.“

Der Ukraine-Krieg und die Verstöße der russischen Streitkräfte gegen das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsnormen dürfen uns hier bei aller Solidarität mit der leidenden Zivilbevölkerung in der Ukraine nicht den Verstand vernebeln oder uns sogar um den Verstand bringen. Jeder Krieg, aber auch die Forcierung der Rüstungsindustrie hinterlässt einen negativen gar desaströsen ökologischen Fußabdruck.

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