Richard Wilhelm: Botschafter ­zweier Welten

Im Olympiajahr blickt die Welt besonders aufmerksam auf das Gastgeberland China. Wer sich für die Geschichte der deutsch-chinesichen Beziehungen interessiert, blickt nach Bad Boll. Dort liegt Richard Wilhelm, Nestor der Deutschen Sinologie, begraben.

Richard Wilhelm

Wer in einer Tagungspause zum Alten Badfriedhof in Bad Boll spaziert, ist vielleicht überrascht dort auf Besucher aus Asien zu treffen. Ihr Interesse gilt einer Grabstätte, deren Zentrum eine große Travertin-Kugel bildet, umgeben von quadratischen Steinplatten mit rätselhaften Strichmustern. Diese Symbole erinnern an das Weisheitsbuch »I Ging«. Erstmals ins Deutsche übersetzt wurde es von dem von dem Chinaforscher Richard Wilhelm, der hier mit seiner Gemahlin Salome begraben liegt.

Geboren wurde Wilhelm 1873 in Stuttgart, in Tübingen hat er - gegen den Willen der Mutter - Evangelische Theologie studiert. Sein Vikariat führte ihn nach Bad Boll, wo er rasch in den Bann Christoph Blumhardts d. J. - und seiner Tochter Salome - geriet. Blumhardt, dessen Kurhaus in Bad Boll sich zu einem Salon der schwäbischen Geisteswelt entwickelte, hinterließ als Theologe mit starken Diesseitsbezügen bei Wilhelm einen tiefen Eindruck. Inspiriert von Blumhardts Drang, das Reich Gottes auch schon auf Erden anzustreben, schrieb Wilhelm 1899 an die Ostasienmission: »Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich eventuell mit Freuden bereit bin, draußen in der Ferne das Zeugnis Jesu Christi zu verkündigen.«

Der Vorbehalt, dass er den Missionarsberuf »eventuell mit Freude« ausüben werde, mag einer unbewussten Vorahnung entsprungen sein. Wilhelm wurde in den deutschen Handelsstützpunkt Tsingtao entsandt, wo er bald zum Zeugen des Boxeraufstandes wurde. Diese Erhebung nahm das Deutsche Kaiserreich zum Anlass, sich als markige Kolonialmacht zu profilieren. »Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben«, wandte sich Kaiser Wilhelm II an seine Soldaten und fuhr fort, »möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.«

Der Missionar Wilhelm verstand schnell, dass er als Abgesandter einer christlichen Kirche unwillkürlich zum verlängerten Arm des Kolonialismus würde. Statt eifrig zu christianisieren, vertiefte er sich deshalb zunächst in Sprachstudien und versuchte, in die Geisteswelt der chinesischen Kultur einzudringen. Danach engagierte er sich für den Bau von Schulen und die Krankenversorgung, was ihm - sehr zum Missfallen seiner Missionsgesellschaft - eine hohe Auszeichnung durch den chinesischen Kaiser einbrachte.

Als Wilhelm 1920 das Land verließ, hatte er keinen einzigen chinesischen Heiden getauft. Aber seine Beschäftigung mit dem Konfuzianismus, mit Lao Tse, der chinesischen Philosophie und Literatur mündete in zahlreiche Übersetzungen und Fachbücher, mit denen er einem geradezu modern anmutenden gleichberechtigten Austausch zwischen der europäischen und chinesischen Kultur den Weg bereitete. Wilhelm hat der aus der Kolonialzeit stammenden Vorstellung von der »Gelben Gefahr« ein differenziertes Chinabild entgegengestellt, mit dem er zahlreiche europäische Intellektuelle - u. a. Hermann Hesse und C. G. Jung - nachdrücklich beeinflusste.

Allein seiner überwältigenden Kenntnis und seiner produktiven Publikationstätigkeit hatte er zu verdanken, dass er 1924 ohne Promotion und übliche Universitätslaufbahn auf den Lehrstuhl für chinesische Geschichte und Philosophie in Frankfurt berufen wurde. Das haben ihm etliche Fachkollegen geneidet. Dass er außerdem aus seiner republikanischen und pazifistischen Gesinnung keinen Hehl machte, mag dazu beigetragen haben, dass sein Andenken nach seinem Tod im Jahre 1930 im heraufziehenden Nationalsozialismus schnell verblasste.

Die Evangelische Akademie Bad Boll kann sich zugute halten, dass sie bei der Wiederentdeckung Wilhelms eine wichtige Rolle spielte. Studienleiter Klaus Hirsch, selbst mit Missionarserfahrungen ausgestattet und viele Jahre in der Akademie für den interkulturellen Austausch zuständig, organisierte im Juni 2002 das erste internationale Symposion zur Biografie des frühen Chinaforschers. Zwei Jahre später hat die Universität Frankfurt den Impuls aufgegriffen und Wilhelm mit einer weiteren Konferenz über seinen Einfluss auf das China- und Ostasienbild gewürdigt.

Die Beiträge der Sinologen aus Kanada, China, den USA und Deutschland beim Bad Boller Wilhelm-Symposion sind in dem Band »Richard Wilhelm: Botschafter zweier Welten. Sinologe und Missionar zwischen China und Europa« (Hrsg. Klaus Hirsch, ISBN 3-424-00502-9) nachzulesen.

Über die Beziehung zwischen Christoph Blumhardt d. J. und Richard Wilhelm informiert ein Kapitel in dem von Akademie-Studienleiter Albrecht Esche verfassten Band »Reich Gottes in Bad Boll. Die Stätten der Blumhardts und ihre Geschichten« (ISBN 978-3-936369-13-7, Online bestellbar im Akademie-Buchladen).

Auch über die Frankfurter Konferenz ist im IKO-Verlag eine Dokumentation erschienen: »Interkulturalität im frühen 20. Jahrhundert: Richard Wilhelm – Theologe, Missionar und Sinologe« (hrsg. von Dorothea Wippermann, Klaus Hirsch und Georg Ebertshäuser ISBN 978-88939-819-2)(-uw)

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